vor 17 Stunden
"Nicht überbewerten", aber den Rückenwind mitnehmen
Die DHB-Mannschaft hat nach dem Sieg über Frankreich ordentlich Selbstbewusstsein getankt. Und geht nun mit großen Schritten Richtung Olympische Spiele. Was der Erfolg bedeutet - und wie es jetzt weitergeht:
Die deutsche Mannschaft war von Beginn an im Spiel. Bei Nikola Karabatics Deutschland-Abschied vor 10.105 Zuschauern in der Dortmunder Westfalenhalle legte die DHB-Sieben schon nach fünf Minuten ein 5:2 vor - und führte trotz zwischenzeitlicher Aufholjagd der Franzosen zur Pause verdient mit 19:15.
Gerade offensiv waren die Schützlinge von Alfred Gislason, die mit viel Tempo, Leidenschaft und Frische arbeiteten, sehr griffig. Kein Wunder also, dass Handballlegende Karabatic die Deutschen nach dem Spiel adelte: "Sie haben gezeigt, dass sie den Europameister schlagen können. Das heißt, sie können jeden schlagen."
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Denn auch nach dem Seitenwechsel blieb das DHB-Team spielbestimmend. Die aufkeimende Hoffnung der Franzosen, die zwischenzeitlich auf ein Tor verkürzten, erstickte David Späth im Keim, und danach verlief das Angriffsspiel der Deutschen wieder nach einem festen Muster. Viel Druck über Halb, viel Intensität, viel Torgefahr - und viel Wucht bei den zumeist erfolgreichen Abschlüssen.
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Kein Wunder also, dass am Ende ein leistungsgerechter 35:30-Sieg auf der Anzeigetafel leuchtete. Überbewerten sollte man diesen aber nicht: Frankreich spielte auswärts, in einem Testspiel, und ohne Samir Bellahcene, Yanis Lenne, Nedim Remili und Dika Mem.
Gut also, dass die Spieler nach der Partie den richtigen Ton trafen. Kapitän Johannes Golla merkte an: "Frankreich war ein guter Gegner, der sicher nicht in seiner Topbesetzung gespielt hat und auch noch nicht am Limit war." Getrübt habe das das Erfolgserlebnis allerdings nicht. Und auch die leichte Blessur sei kein Hindernis.
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Derweil unterstrich auch der stets kritische Bundestrainer Alfred Gislason: "Ich war insgesamt mit der Leistung sehr zufrieden. Ich will das Ergebnis aber nicht überbewerten." Ein Sieg steigt den Handballern also nicht zu Kopf. Sie alle treffen den richtigen Ton - den Rückenwind mitnehmen? Ja. Sich direkt zum Favoriten küren? Nein. Golla weiß dennoch, dass "wir den Traum erfüllen können, wenn wir 60 Minuten konstant durchspielen."
Und was ist schon Olympia, wenn nicht ein Traum für jeden Sportler? Große Siege erfordern große Träume. So wie David Späth, der "nur gelacht" hätte, wenn ihm jemand vor einem Jahr gesagt hätte, er würde sich nun auf Olympia vorbereiten.
Der junge Nationaltorwart hat einen kometenhaften Aufstieg hinter sich. Vom Pokalheld der Löwen avancierte Späth zum Junioren-Weltmeister, dann zur Bundesliga-Stammkraft, dann zum festen Gespannspartner mit Andreas Wolff. "Zusammenarbeit und Kommunikation sind super", stellte der 22-jährige die Arbeit mit dem Neu-Kieler im Interview mit handball-world heraus, und sprach darüber, was die beiden sich untereinander mitgeben.
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Späth ist nicht der einzige junge Spieler, der gegen Frankreich aus dem Kollektiv herausstach. Auch Eisenachs Marko Grgic wusste zu überzeugen - und bekam unter anderem bei Siebenmetern Verantwortung übertragen. "Vielleicht gibt es auch noch das gewisse Anfängerglück, wenn man das erste Mal gegen so große Mannschaften spielt, aber unterm Strich gibt das schon Selbstbewusstsein", resümierte der Rückraumspieler gegenüber dem DHB.
Eins kann man Alfred Gislason, der unter anderem aufgrund der Nicht-Berücksichtigung Nils Lichtleins in der Kritik stand, nicht vorwerfen: Mutlosigkeit. Der Bundestrainer griff gegen Frankreich auf seinen gesamten Kader zurück - ausgenommen Torwart-Backup Joel Birlehm - und rotierte schon im ersten Durchgang früh.
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Und dafür wurde Gislason belohnt. Nicht nur Grgic zahlte das Vertrauen zurück, auch Franz Semper avancierte gegen Frankreich zu einer Dauergefahr im Rückraum. Semper, der in den letzten Jahren kaum Beachtung fand, ist wie Luca Witzke und Tim Hornke einer der Gewinner des letzten Halbjahres. In Dortmund rechtfertigten sie ihre Nominierung mit starken Aktionen.
Auch der nachnominierte Sebastian Heymann bewies seine Abwehrstärke in seiner Rolle als erster Störfaktor für die schnelle Mitte der Franzosen. Rune Dahmke und Justus Fischer aus dem Reserve-Trio sammelten ebenfalls Minuten.
"Es gibt aber wohl jetzt die Möglichkeit, dass man sechsmal hin und her tauschen kann und die Wahrscheinlichkeit ist gar nicht so gering, dass man das auch mal ausnutzt und dann mit allen sechzehn Mann spielt", erklärte Hornke nach dem Spiel. Gut möglich also, dass beide auch in Paris eine Rolle spielen.
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Auch das Auszeitenmanagement passte. Als David Späth den Ausgleich zum 24:24 nur knapp verhinderte und das Spiel zu kippen schien, trommelte Gislason seine Mannschaft zusammen: und sah in der Folge einen 3:0-Lauf bis zum 27:23. Auf jede starke Phase der Franzosen antwortete die deutsche Mannschaft druckvoll und mit Torgefahr.
Das alles sind Tugenden, die es braucht, wenn Deutschland bei den Olympischen Spielen eine Rolle spielen möchte. Die eigene Qualität kann die Mannschaft von Alfred Gislason nun bei den Tests gegen Ungarn (19.7.) und Japan (21.7.) erneut unter Beweis stellen. Fest steht auf jeden Fall, dass das Duell mit Frankreich eine positive erste Standortbestimmung darstellt.
Die Spiele selbst stellen dann eine ganz besondere Herausforderung dar. Nicht nur die Gegner sind mit Schweden, Kroatien, Japan, Spanien und Slowenien logischerweise eine weltweite Allstar-Auswahl, auch die Anwurfzeiten ab 9 Uhr morgens könnten zum Problem werden. Aber DHB-Team, Handballsport und Olympische Spiele haben schon oft genug bewiesen, dass immer alles möglich ist. Und das macht den Sport schließlich aus.
Maximilian Otte