vor 1 Tag
Schiedsrichter-Lehrwart Kay Holm im Interview
Auf der Uhr dauert ein Spiel genau 60 Minuten, doch manchmal stehen die Spieler von An- bis Abpfiff auch anderthalb Stunden auf dem Feld. Kay Holm, Leiter für den Bereich Lehre im Schiedsrichterwesen, spricht im Interview über die verschiedensten Facetten der Spielzeit - ob laufend oder gestoppt.
Während der Fußball mit einer subjektiven Nachspielzeit arbeitet, steht die reine Spielzeit im Handball fest. Ein Spiel dauert 60 Minuten …
Kay Holm: Das ist zumindest in den meisten Fällen richtig, ja. Die Spielzeit ist im Regelwerk festgelegt, ein Spiel besteht aus 2x 30 Minuten bei den Männern und Frauen sowie der A-Jugend. Ausnahmen gibt es im Kinder- und Jugendbereich, wo 2x 25 Minuten oder auch nur 2x 20 Minuten gespielt wird; je nach Altersklasse. Auch die Länge der Halbzeitpause ist festgelegt. Im Amateurbereich beträgt sie zehn Minuten, im Profibereich sind es - aufgrund von Fernsehzeiten und der kommerziellen Möglichkeiten in der Halle 15 Minuten. Das gilt für die 1. und 2. Bundesligen, den DHB-Pokal und die 3. Liga.
Was ist mit Jugendbundesligen?
Dort ist die Halbzeitpause ebenfalls nur zehn Minuten. Eine Ausnahme von der normalen Regelung gibt es jedoch in Punkto Spielzeit: In der Jugendbundesliga der männlichen und weiblichen B-Jugend werden 2x 30 Minuten statt - wie in der Altersklasse sonst flächendeckend üblich - 2x25 Minuten gespielt. Der schlichte Hintergrund: Man möchte die Jugendlichen auf größere Aufgaben vorbereiten, auf die internationalen Vergleichswettbewerbe und Turniere mit der Jugend-Nationalmannschaft. Daher ist es sicherlich sinnvoll, die dort geltende Spielzeit von 60 Minuten in dem Leistungsbereich auch national schon umzusetzen.
So festgelegt die Spielzeit ist: Die Spieler stehen in einem Spiel durch die Auszeiten und Unterbrechungen länger als 60 Minuten auf dem Feld ...
Das stimmt. Wir unterscheiden im Handball zwischen zwei Varianten: Dem Team-Timeout, der so genannten Auszeit, die jede Mannschaft zweimal bzw. im Leistungsbereich dreimal im Spiel beantragen kann. In der 1. und 2. Männer-Bundesliga haben wir dafür den Buzzer, in allen anderen Ligen die Grüne Karte. Außerdem gibt es natürlich die Möglichkeit für die Schiedsrichter und das Kampfgericht, die Zeit aus verschiedenen Gründen anzuhalten und das Spiel damit zu unterbrechen.
In welchen Situationen sind die Schiedsrichter gezwungen, die Zeit anzuhalten?
Wir haben ganz klare Regelungen, welche Situationen es gibt, die zu einem normalen Timeout führen. Dort haben die Schiedsrichter auch keinen Gestaltungsspielraum - wie bei einer Zeitstrafe. Die Schiedsrichter müssen das Timeout pfeifen und anzeigen, dann sprechen sie die Hinausstellung aus und erst ihr Anpfiff stellt die Spielfortsetzung dar. Der Zeitnehmer hat sich dabei nach den Pfiffen des Schiedsrichters zu richten; das ist zwingend. Für den Schiedsrichter ist es zudem zwingend, zusätzlich zu den drei Pfiffen das Handzeichen für Timeout zu signalisieren, damit der Tisch auch bei einer lauten Halle reagieren kann.
Was, wenn ein Schiedsrichter - das kommt im Amateurbereich hin und wieder vor - vor dem Handzeichen der Zeitstrafe kein Timeout anzeigt? Wann darf das Kampfgericht die Spielzeit anhalten?
Die Zeitnehmer dürfen die Uhr nur stoppen, wenn ihnen das Time-out-Handzeichen gezeigt wird. Genau dafür gibt es dieses im Regelwerk beschriebene Handzeichen. Wichtig ist jedoch, dass das Handzeichen für den Zeitnehmer sichtbar gezeigt wird - also zum Beispiel nicht mit dem Rücken zum Tisch stehend. Sollte es wiederholt vorkommen, kann das Kampfgericht in der Halbzeit oder bei einer Auszeit der Teams den Schiedsrichter ggf. auch darauf ansprechen und um ein klares Time-out-Handzeichen bitten, damit es keine Irritationen gibt.
Dürfen nur die Schiedsrichter die Spielzeit stoppen?
Nein, der Zeitnehmer bzw. im Profibereich der Delegierte darf in bestimmten Situationen ebenfalls das Spiel unterbrechen - bei Wechselfehlern zum Beispiel. Der Delegierte hat außerdem die Möglichkeit, die Zeit anzuhalten, wenn eine progressive Strafe gegen die Bank notwendig wird. Das akustische Signal vom Tisch unterbricht das Spiel. Wenn die Spielzeit nach diesem Signal noch weiterläuft - beispielsweise auf der Anzeigetafel - muss das korrigiert werden.
Das wäre dann ein Bild, was viele Zuschauer in den Hallen schon erlebt haben dürften - Schiedsrichter und Mannschaftsverantwortliche sammeln sich am Kampfgericht und fordern, zwei, drei, vier Sekunden mehr oder weniger. Wer entscheidet in so einem Fall?
Verantwortlich für die Spielzeit sind gemäß Regelwerk die Schiedsrichter und damit müssen sie am Ende auch die Entscheidung treffen. Wichtig ist für diese Entscheidung ist natürlich die Kommunikation mit dem Tisch. Man fragt als Schiedsrichter: Zu welchem Zeitpunkt habt ihr gepfiffen, wer war im Ballbesitz, wo war der Ball genau? Dann kann man die Situation meistens rekonstruieren, wenn es nicht ganz klar war und dann wird die Entscheidung gefällt.
Das bedeutet aber auch: Das Kampfgericht muss unbedingt pfeifen, wenn die Uhr auf 30:00 oder 60:00 springt - egal, was auf dem Spielfeld passiert?
Genau. Das ist zwingend notwendig. Und die gleiche Vorhabe gilt auch bei einem Wechselfehler. Wenn der Tisch das wahrnimmt, muss der Zeitnehmer sofort pfeifen - egal, ob es gerade eine klare Torgelegenheit ist oder was sonst auf dem Spielfeld passiert. Wie anschließend die Spielfortsetzung ist, haben die Schiedsrichter festzulegen.
Dass die Zeit bei einer Zeitstrafe gestoppt wird, ist - du sagtest es bereits - ein klares Muss. Es gibt jedoch Situationen, wo das mitunter auch im Ermessen des Schiedsrichters liegt, wie bei einem Siebenmeter. Dort wird teilweise die Zeit angehalten, teilweise läuft die Spielzeit. Wie ist die Anweisung an eure Schiedsrichter?
Wir empfehlen unseren Schiedsrichtern, darauf zu achten, ob eine der Mannschaften ein verständliches Interesse hat, die Ausführung hinauszuzögern - beispielsweise, um die eigene Zeitstrafe herunterlaufen zu lassen oder ähnliches. Da sind die Spieler einfallsreich; der Ball wird saubergemacht, mehrmals in der Hand gedreht, auf den Boden geprellt. Solche sichtbaren Verzögerungsversuche sind zu unterbinden, indem die Zeit gestoppt wird. Wichtig ist, dass die Balance im Spiel zwischen den Mannschaften gegeben sowie eine Linie in diesem Punkt durch das Spiel erkennbar ist.
Es gibt gerade gegen Spielende immer wieder Spieler, die vehement fordern, die Zeit anzuhalten. Was gibt das Regelwerk vor?
Das Regelwerk sagt dazu nichts. Früher war es zwingend, die Zeit anzuhalten, diese Regel gibt es schon seit einigen Jahren nicht mehr. Deshalb gilt die eben geschilderte Richtlinie: Grundsätzlich wird die Zeit laufen gelassen, es sei denn, es ist eine absichtliche Verzögerung aufgrund eines bestimmten Nutzens erkennbar. Nur, weil wir uns kurz vor Schluss des Spieles befinden, wird die Zeit nicht automatisch angehalten.
Und bei einem Torwartwechsel?
Auch dabei gilt: Grundsätzlich erst einmal laufen lassen, es sei denn, die Torhüter gehen sichtbar langsam hinaus, um Sekunden zu schinden.
Wie ist die Regelung für Wischpausen?
Das Regelwerk sagt auch an dieser Stelle nichts. Grundsätzlich gilt, dass wir das Spiel am Laufen halten wollen. Wenn in einem Bereich gewischt werden muss, wo das Spiel gerade stattfindet, ist die Unterbrechung richtig und wichtig, weil die Verletzungsprävention immer vorgeht. Ist jedoch eine feuchte Stelle im Torraum, während der Angriff bereits in die Gegenrichtig läuft, kann auch während des laufenden Spiels gewischt werden. Wichtig ist, dass die Wischer auf das Signal des Schiedsrichters warten, um die Spielfläche zu betreten und es nicht eigenmächtig machen.
Wie sieht es bei Verletzungen aus?
Wenn ein Spieler vermeintlich verletzt liegen bleibt, genügt das zunächst nicht automatisch für ein Timeout - es sei denn, ist es offensichtlich, dass der Spieler blutet oder schlimme Schmerzen hat. Ansonsten lassen wir ggf. erst einmal den Vorteil laufen, nehmen Kontakt zum verletzten Spieler auf und fragen, ob eine Behandlung erforderlich ist. Wenn der Spieler Hilfe braucht, ist die Zeit anzuhalten und dann dürfen die Offiziellen nach Handzeichen das Spielfeld betreten. In so einer Situation ist das Timeout zwingend.
Wie ist die Regelsituation, wenn ein Spieler liegenbleibt, der Gegner in den Gegenstoß geht und die Mannschaft des vermeintlich verletzten Spielers das Timeout fordert?
Da gilt der eben geschilderte Grundsatz und die Zeit wird erst gestoppt, wenn der Gegenstoß bzw. Vorteil abgeschlossen sind. Eine Ausnahme: Wenn die angreifende Mannschaft das Tempo sichtbar rausnimmt und das Spiel deutlich verlangsamt, vielleicht sogar stehenbleibt, dann unterbricht man als Schiedsrichter natürlich sofort und nimmt Kontakt zum verletzten Spieler auf. Wir dürfen dabei nie die besondere Regelung der Drei-Angriffs-Pause vergessen - für die es übrigens keine Zeitvorgabe gibt. Drei Angriffe sind drei Angriffe; egal, wie lange diese dauern - bis zur Halbzeit, dann entfallen die verbleibenden Angriffe.
Eine Ausnahme bei Verletzungen ist jedoch der Kopftreffer; dort wird meist direkt die Zeit gestoppt…
Absolut und das auch genau richtig. Ein Kopftreffer ist eine besondere Situation, weil es dabei eben nicht nur sichtbare Verletzungen geben kann, sondern die Gefahr eine Gehirnerschütterung besteht. Es gibt ja nicht nur den Kopftreffer durch den Ball, ein Spieler kann auch mit dem Kopf auf dem Boden aufschlagen, mit einem Gegenspieler zusammenprallen oder gegen das Tor rasseln. Und bei direkten Kopftreffern des Torwarts ist ohnehin ein Timeout aufgrund der folgenden Zeitstrafe erforderlich.
In der Crunch-Time, wenn es um jede Sekunde geht, wird auch bei Freiwürfen das Anhalten der Spielzeit gefordert. Was gilt in so einer Situation?
Dieser Forderung müssen die Schiedsrichter an der Stelle widerstehen. Wenn es keinen Grund für ein Timeout gibt, sollen sie es auch nicht geben. Es kann natürlich auch im Gegenteil sinnvoll sein, aus taktischen Gründen ein Timeout zu geben - beispielsweise, damit sich die aufgebrachten Gemüter in einer Wischpause beruhigen können.
Gerade zum Ende einer Halbzeit müssen die Schiedsrichter die Uhr im Blick haben. Wenn es kurz vor Schluss einen Siebenmeter gibt, müssen noch drei Sekunden auf der Uhr sein, wenn man direkt anpfeifen will. Das ist die Zeit, die der Schütze für den Wurf zur Verfügung haben muss. Sind weniger als drei Sekunden auf der Uhr, sollte man die Zeit herunterlaufen lassen und den Siebenmeter oder auch direkten Freiwurf nach dem Abpfiff der regulären Spielzeit ausführen lassen.
Welche Möglichkeiten haben die Schiedsrichter, progressiv durchzugreifen, wenn eine Mannschaft das Spiel sichtbar verzögert, um möglichst viel Zeit von der Uhr zu nehmen?
Wenn eine Mannschaft das sehr ausreizt, hat ein Schiedsrichter natürlich bestimmte Möglichkeiten. Wenn der Anwurf beispielsweise in der engen Schlussphase über den in der Anwurfzone stehenden Spieler ausgeführt wird und der Ball also erst einmal geholt werden muss, kann ich die Zeit anhalten - und mit Anpfiff direkt das passive Vorwarnzeichen geben. Das ist ein klares Signal, dass man als Schiedsrichter die Spielverzögerung nicht mitmacht. Und wenn Spieler den Ball sichtbar irgendwo hinwerfen, um Zeit zu schinden - beispielsweise auf die Tribüne - steht natürlich auch das Strafmaß für Unsportlichkeit zur Verfügung.
Und wenn der Ball - ob absichtlich oder nicht - im Seitenaus landet und erstmal aus dem Geräteraum oder von der Zuschauertribüne geholt werden muss?
Da obliegt es dem Schiedsrichter, im Einzelfall zu entscheiden. Er sollte sich danach richten, wie schnell das Spiel weitergehen kann.
Abschließend: Was gibt es für Besonderheiten im DHB-Pokal, wo das Ende der regulären Spielzeit ja nicht immer auch das Spielende ist?
Ein Pokalspiel kann nicht unentschieden enden; daher gibt es - egal, in welcher Liga - eine Verlängerung von 2 x 5 Minuten. Diese hat nach einer fünfminütigen Pause zu starten. Die Halbzeit in der Verlängerung dauert eine Minute, inklusive Seitenwechsel. Wenn diese erste Verlängerung nicht zur Entscheidung führt, gibt es im Handball eine zweite Verlängerung im gleichen Rahmen.
Steht nach diesen 80 gespielten Minuten immer noch keine Entscheidung fest, kommt es zum Siebenmeterwerfen, das wiederum zeitlich unbefristet ist. Übrigens: Zeitstrafen, die am Ende der zweiten Verlängerung laufen, werden mitgenommen - ohne allerdings abzulaufen. Ein Spieler, dessen Zeitstrafe noch läuft, darf also beim Siebenmeterwerfen nicht antreten.
jun