05.01.2025, 14:00
DHB-Vorstand über die Lage des Handball in Deutschland
Das vom DHB ausgerufene Jahrzehnt des Handball in Deutschland ist zur Hälfte absolviert. Im Gespräch mit Julia Nikoleit zog Mark Schober eine erste Zwischenbilanz. Der Vorstandsvorsitzende des DHB sprach dabei nicht nur über die absolvierten und bevorstehenden Heim-Turniere der Nationalteams sondern auch die Mitgliederentwicklung, den Kontakt zur Basis am Kuchenstand und die Gesamtlage der Sportart.
Herr Schober, wie fällt Ihre Zwischenbilanz zur Hälfte vom Jahrzehnt des Handballs aus?
Ich bin nach wie vor sehr begeistert von der U21-WM; das Turnier hat zum Auftakt großen Spaß gemacht, auch in der Organisation. Und die Arbeit an der EHF EURO 2024 hat ebenso Freude bereitet, wir hatten tolle Erlebnisse - sportlich und persönlich. Bislang ist das Fazit positiv, und unser gemeinsamer Weg geht weiter. Wir haben im kommenden Jahr die Frauen-WM vor uns, 2027 folgt die Männer-WM.
Das Jahrzehnt des Handballs besteht aber auch nicht nur aus den internationalen Veranstaltungen, sondern umfasst auch die vielfältigen Themen rund um Fangewinnung und Aufmerksamkeitssteigerung, Mitgliederentwicklung sowie Leistungssport. All das werden wir beim Bundestag im nächsten Jahr mit Sicherheit in einem Zwischenbericht vorstellen. Viele unserer bis heute geplanten Ziele konnten wir gemeinsam erreichen.
Die Ziele für das Jahrzehnt des Handballs sind in dem Strategiepapier Perspektive 2030 festgelegt. Und wenn wir auf die festgelegten Ziele der A-Nationalmannschaften blicken, sind bislang alle erreicht…
Das stimmt. Wir haben uns 2024 mit Männern und Frauen für die Olympischen Spiele qualifiziert und sogar eine Medaille gewonnen. Und wenn wir unsere Veranstaltungen in Zukunft weiter so nutzen können, wie uns das bislang gelungen ist, ergibt jedes Turnier hochgradig Sinn.
Wie meinen Sie das?
Jedes Turnier, das wir ausrichten, soll nicht isoliert erfolgreich sein, sondern durch die Maßnahmen des DHB und seiner Verbände und Vereine drumherum eine breite Wirkung zeigen. Da können wir bei der Europameisterschaft einen Haken setzen. Im Rahmen der EHF EURO 2024 sind beispielsweise 1.000 Kinderhandballtrainer ausgebildet worden. Wir hatten unter anderem durch den Zuschauerrekord beim Eröffnungsspiel eine sehr hohe Aufmerksamkeit und konnten neue Fans gewinnen.
Beim EHF-Kongress Mitte Dezember in Wien wurde uns von allen Nationen gespiegelt, dass es die bisher größte EM war - mehr Leuchtturm-Veranstaltung geht nicht. Bei der Männer-WM 2027 werden wir ein anderes Konzept verfolgen: Da gehen wir dorthin, wo die Bundesligisten sind. Ich bin sicher, dass wir damit auch erfolgreich sein und Aufmerksamkeit generieren werden.
Und bei den Frauen- 2025?
Die Frauen-WM 2025 hat mit dem Start unserer Kampagne "Hands up for more!" schon begonnen! . Diese Kampagne soll viel mehr als nur ein Claim sein - wir wollen eine Bewegung ins Leben rufen. Mit "Hands up for more!" wollen wir nicht nur das Turnier bewerben, sondern allgemein Aufmerksamkeit auf den Frauensport richten und engagierte Frauen für unseren Sport gewinnen.
Mit Anja Althaus als neuer Managerin unserer Nationalmannschaft ist dies schonmal gelungen. 2025 wird in allen Landesverbänden die Ausbildung von Schiedsrichterinnen kostenlos sein; beim Bundestag sind Delegierte der Landes- und Ligaverbände beider Geschlechter vor Ort. Das sind nur einige Beispiele für Maßnahmen, mit der wir "Hands up for more!" mit Leben füllen.
Und auch der Vorverkauf ist sehr gut gestartet, denn wir haben bisher bereits 15 Prozent der Karten verkauft. Das ist ein guter Wert; an einem Wochenendspieltag in Dortmund sind schon 6.000 Tickets weg. Wir werden in Dortmund zudem erstmals eine Fanzone in einer Nebenhalle umsetzen. Ein tolles, neues und spannendes Projekt. Das gilt auch für 2032, wenn wir die Europameisterschaften der Männer und Frauen innerhalb eines Jahres ausrichten - das gab es in dieser Form so für uns auch noch nicht.
Inwiefern besteht die Gefahr, dass Heim-Turniere ihren Reiz verlieren, wenn es sie so oft gibt, dass ein Spieler drei oder vier Turniere im eigenen Land spielen kann?
Es ist wahrscheinlicher, dass Du sportlich erfolgreicher bist, wenn du im eigenen Land spielst, das ist Fakt. Und der Handball in Deutschland kann auf zahlreichen Gebieten unglaublich profitieren, weil wir Nachfrage erzeugen, neue Mitglieder und neue Fans gewinnen und Ehrenamtliche binden.
Das ist alles hochgradig sinnvoll und uns 2024 auch gelungen. Auch wirtschaftlich macht das für alle Beteiligten Sinn, auch wenn dies für uns der am wenigsten wichtige Grund für die Organisation der internationalen Veranstaltungen ist.
Sie sehen keine Gefahr der Überreizung?
Nein, solange wir die Turniere durch sinnvolle Maßnahmen, wie beschrieben, ergänzen und immer wieder neue Bausteine integrieren, hilft es dem Handball auf allen Ebenen. Es geht nie nur um die drei Wochen eines Turniers, es geht immer um viel mehr.
Kommen wir auf das Strategiepapier zurück: Wie bewerten Sie die Fortschritte abseits der Nationalmannschaften und der Großturniere?
Wir sind in vielen Bereichen auf einem guten Weg. Die Zahl der Social-Media-Follower ist beispielsweise auf 840.000 gestiegen, da sind wir bereits über dem gesetzten Ziel und wachsen weiter. handball.net wurde zum Beispiel wie geplant entwickelt und Maßnahmen zur Bindung und Gewinnung von Schiedsrichtern werden umgesetzt.
Zum Beispiel?
Das Schiedsrichterwesen ist aktuell neben der generellen Gewinnung und Bindung von Ehrenamtlichen und TrainerInnen ein Kernthema. Dazu wurden zunächst durch eine bundesweite Umfrage Erkenntnisse zu den Bedürfnissen und Herausforderungen von Schiedsrichterinnen und Schiedsrichtern ermittelt, die Basis diverser Kampagnen und Einzelmaßnahmen sind. Die genannte kostenlose Ausbildung von Schiedsrichterinnen ist eine solche Maßnahme, die schärfere Sanktionierung des Bankverhaltens der Trainer eine andere.
Die Umfrage hat ergeben, dass Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter länger dabei bleiben, wenn sie im Verein wie eine weitere Mannschaft behandelt werden, Respektvolles Verhalten von Tribüne und Bank erfahren und auch die Höhe der Aufwandsentschädigung stimmt. Unter anderem an diesen drei Faktoren richten wir unsere Kampagnen und Maßnahmen aus - wohlwissend, dass es eine Herausforderung bleibt, diese Erkenntnisse an die Vereinsbasis zu tragen.
In dem Strategiepapier sind verschiedenste Ziele und Maßnahmen definiert. Wann ist die Umsetzung aus Ihrer Sicht ein Erfolg?
Manche Vorhaben sind klar messbar; andere nicht, das liegt in der Natur der Sache und ist uns auch bewusst. Eine Medaille bei Olympischen Spielen ist klar messbar. Die Einführung der weiblichen B-Jugend-Bundesliga ist ebenfalls klar messbar. Und natürlich ist der Erfolg einer Maßnahme manchmal auch subjektiv, aber wir versuchen, jede Maßnahme, die wir umsetzen, mit messbaren Größen zu versehen.
Und manchmal dauert die Umsetzung einfach. Dass wir Bundesstützpunkte im weiblichen Leistungssport umsetzen möchten, ist bekannt, es wird aber nach deren Einführung noch viele Jahre dauern, bis wir davon Früchte tragen werden. Und manchmal wird eine Maßnahme aus verschiedenen Gründen auch nicht umgesetzt. Strategie bedeutet Konzentration, Fokussierung und manchmal auch Veränderung.
Haben Sie ein Beispiel?
Wir haben in der Mitgliederentwicklung die Steigerung der Mitgliederzahlen auf die Agenda gesetzt. Der Deutsche Handballbund hat diese 2023 um rund vier Prozent gesteigert; im kommenden Jahr werden wir erfahren, was wir 2024 an neuen Mitgliedern gewonnen haben. Ich gehe davon aus, dass die Zahl wieder in einem ähnlichen Bereich liegen wird, weil wir bereits jetzt einen Zuwachs verspüren.
Das ist ein toller Erfolg und führt dazu, dass wir unseren Fokus neu ausrichten und unsere Ressourcen womöglich verschieben müssen, weil dies die Herausforderung bei der Gewinnung von Trainerinnen und Trainern verschärft. Wir müssen in den nächsten Jahren beispielsweise unsere Verbände weiter stärken und noch besser machen, damit diese vor Ort mehr Trainerinnen und Trainer gewinnen können.
Wie gelingt es Ihnen, auf Führungsebene des Deutschen Handballbundes, den Kontakt zur Basis und ihren Problemen zu halten?
Die Mitgliederentwicklung nimmt im DHB einen hohen Stellenwert ein. Unser Fokus ist nicht ausschließlich auf den Leistungssport ausgerichtet. Wir nehmen uns der Aufgabe an, den Handball in Gänze zu entwickeln und neue Mitglieder und Fans zu gewinnen. Dass wir nicht an der Basis sind, ist ein Vorwurf, den man Verbänden gerne macht. Das trifft auf unsere Haupt- und Ehrenamtlichen nicht zu.
Viele unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen arbeiten in und mit Vereinen. Was wir zunehmend als eine Herausforderung wahrnehmen, sind die unterschiedlichen Aufgaben in unterschiedlichen Regionen.
Ich sehe beispielsweise, was in Nordrhein-Westfalen passiert, weil ich dort nahezu jedes Wochenende in der Halle bin und auch mal am Kuchenstand oder der Ticketkasse stehe. Welche strukturellen Unterschiede es zu Mecklenburg-Vorpommern im Detail gibt, kann ich nicht aus erster Hand beurteilen. Die Entwicklung und Professionalisierung der Landesverbände ist ein weiteres strategisches Feld, das wir bisher noch nicht angesprochen hatten.
Die Reduzierung der anfangs über 20 Landesverbände auf zehn Förderregionen ist das Stichwort…
Das ist übrigens auch ein messbares Ziel und auch hier sind wir in Niedersachsen/Bremen, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz vorangekommen. Das ist aber auch nur ein Element. Denn es ging nicht um die Reduzierung an sich, sondern um die Überzeugung, dass Zusammenarbeit und Hauptamtlichkeit zu Professionalisierung und Entwicklung führt.
Wenn jetzt wie im kommenden Sommer in Baden-Württemberg drei Verbände zu einem Verband zusammengehen, ist es der richtige Weg, weil dadurch zusätzlich zur Digitalisierung Ressourcen für die wichtigen Zukunftsaufgaben der Verbände frei werden. Das ist im Wesentlichen die Mitgliederentwicklung und die Unterstützung der Vereine vor Ort.
Was muss in den nächsten fünf Jahren noch unbedingt geschehen? Was wäre Ihr Herzensthema?
Das kann ich ganz einfach beantworten: Medaillen mit den A-Nationalmannschaften gewinnen! Es ist großartig, dass uns das bereits im Sommer gelungen ist, damit haben wir nicht gerechnet, aber das muss uns weiter antreiben.
Am Ende machen Medaillen alles andere deutlich einfacher - auch die weitere Entwicklung und Professionalisierung des Frauenhandballs, die wir uns über 2025 hinaus auf die Agenda gesetzt haben. Sportlicher Erfolg treibt uns alle an! Parallel werden wir unsere Hausaufgaben auf den bereits genannten Gebieten nicht vernachlässigen.
Wie wichtig sind Medaillen, um sich auch gegenüber anderen Sportarten zu behaupten?
Unser Hauptkonkurrent sind nicht die anderen Sportarten, sondern das übrige Freizeitverhalten. Wir müssen die Kinder erst einmal in die Sporthalle bekommen - und ob sie dann Handball, Basketball oder Tischtennis spielen oder schauen, ist eigentlich egal. Wir freuen uns vielmehr gegenseitig über Erfolge; ich habe mich mit den Basketballern über den WM-Titel gefreut und im Sommer mit der Fußball-Nationalmannschaft mitgefiebert. Es ist genug Potenzial für alle Sportarten da, wenn wir die Kinder vom Handy wegbekommen.
Zum Abschluss: Sie haben die zwei Europameisterschaften 2032 bereits angesprochen. Sprechen Sie demnächst vom Jahrzwanzigst des Handballs?
Nein, erst einmal nicht (schmunzelt). Ein Claim wie Jahrzehnt des Handballs hat funktioniert, sowohl in der internen als auch der externen Kommunikation. Es wird auch für 2032 wieder einen Leitclaim geben, aber wie der aussehen wird, weiß ich noch nicht. Wir werden uns darüber genau Gedanken machen, weil er uns wieder antreiben soll.
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Julia Nikoleit