07.03.2024, 06:00
Zweite Welle - Deine Handball-Kolumne
Ist das geil! In der Champions League jagen sich die Topspiele, die Bundesliga ist oben und unten so spannend wie nie. Handball kostet zwar Nerven und Lebensjahre, spendiert dafür aber graue Haare und blaue Flecke. Handball treibt jeden Spieler und jeden Fan ans Limit. Trotzdem ist und bleibt Handball die große Liebe. Oder? Das fragt sich Handball-Autor Daniel Duhr in seiner Kolumne.
Handball strapaziert nicht bloß die Nerven der Zuschauerinnen und Zuschauer, er lässt ganze Nervenstränge reißen. Handball kostet einen viele Lebensjahre. Als selbst spielender Fan - und als Profi sowieso - kommen noch die Schmerzen dazu. Schmerzen, die man sich bis zu einem gewissen Grad noch als Wohlfühlschmerz verklären kann. Schön ist das. Man spürt sich, man lebt.
Aber wenn man sich am Morgen nach dem Spiel die Socken nur noch wie ein Käfer auf dem Rücken liegend anziehen kann, wenn einen die Kollegen aufgrund grün-blauer Flecke am Oberarm anschauen, als ob man all- und nicht spieltäglich Gewaltproblemen ausgesetzt wäre, und wenn einen die eigenen Bandscheiben anschreien, ob man noch alle Tassen im Schrank hat, dann weiß man: Die Handball-Saison läuft. Und wie sie läuft.
Denn das kommt ja noch dazu: Die Saison 2023/24 ist eine der Superlative. Oben der wahnsinnig spannende Zweikampf um die Meisterschaft zwischen den Füchsen Berlin und dem SC Magdeburg - die am Sonntag im absoluten Kracher aufeinandertreffen. Dahinter die lauernden Verfolger aus dem hohen Norden. Und unten ist die Hälfte der Liga zumindest tabellen-thematisch im Abstiegskampf.
Patrick Wiencek spricht von einem Niveau, das er so in der Bundesliga noch nie erlebt habe. Und Patrick Wiencek hat schon ziemlich viel erlebt. Außerdem war da ja auch noch die Weltmeisterschaft der Frauen in Skandinavien und die Europameisterschaft der Männer in Deutschland. Viel mehr geht nicht? Doch, die Olympischen Spiele zum Beispiel, wenn beim Nachsitzen der Herren in Hannover und dem Qualifikations-Turnier der Damen im April alles nach Plan läuft. Wahnsinn.
Handball ist pure Emotion. "Wenn es nicht kracht, ist es nicht Handball." So hat es Stefan Kretzschmar formuliert. Stimmt. Aber Handball ist noch so viel mehr. Denn neben dem zweimal 30-minütigen Action-Thriller, neben der Sportart gewordenen Adrenalin-Spritze, neben dem reinen Vollgas-Spektakel auf der Platte ist Handball auch all das, was vor und nach dem Spiel passiert. All das, was sich in der Kabine und außerhalb der Halle abspielt. All das, was uns bitter leiden und leidenschaftlich jubeln lässt. Handball ist alles - außer gewöhnlich.
Der Handball legt mit jedem Spieltag ein Konjunkturprogramm für Ibuprofen-Hersteller auf. Neben all den Schmerzen und all der Härte auf der Platte steht der Handball aber auch wie kaum ein anderer Sport für die große Nähe und das faire, respektvolle Miteinander, das Handballfans und Profis sorgsam auf ihre ganz besondere Art und Weise pflegen.
Wer das nicht glaubt, kann ja mal spaßeshalber nach einem Fußball-Bundesligaspiel versuchen, runter aufs Spielfeld zu laufen und sich ein Autogramm, ein High-five oder ein Selfie von seinem Star abzuholen.
Sophie Passman schrieb einmal für Die Zeit, in einer Minute Handball passiere mehr Kluges als an einem ganzen Spieltag der Fußball-Bundesliga. Ich möchte nicht widersprechen. Zudem erlebt man in einer Minute Handball als Spieler und auch als Fan die gesamte Klaviatur an Emotionen. Auf Schmerz folgt Herz, auf Jubel Trubel, auf Wahnwitz Spielwitz, auf Zauderei Zauberei und auf eine Überraschung gleich die nächste.
Derartig schnell und intensiv wechseln die eigenen Bewusstseinszustände - sei es auf der Platte oder auf der Tribüne - wohl nur mit der Droge Handball. Ich selbst bin seit meinem ersten Ballwurf bei den Minis süchtig. Und komme nicht mehr los vom Handball.
Als Fan sowieso nicht, als Spieler offensichtlich auch nicht. Nach jedem Spiel, das ich sehe oder spiele, habe ich das Gefühl, dass mich die 60 Minuten plus Auszeiten minus Strafzeiten wieder ein paar Jahre meines Lebens gekostet haben. Und jedes Mal denke ich dann: Ja, das war es wert. Das ist es wert! Denn trotz der vielen Leiden, die diese Leidenschaft schafft: Ich liebe den Handball - und verliebe mich bei jedem Spiel wieder neu.
In Zweite Welle schreibt Bestseller-Autor Daniel Duhr regelmäßig über aktuelle Handballthemen auf und neben der Platte. Und lädt Euch damit zur Diskussion ein. Welchen Standpunkt vertretet Ihr? Wir freuen uns auf Eure Meinungen!
Daniel Duhr ist Autor der Reihe "Handballhölle", die allesamt zu Bestsellern geworden sind. Ebenso wie das kurz vor der EM erschienene Buch "Bock auf Handball", in dem Persönlichkeiten aus dem Handball wie Silvio Heinevetter oder Bob Hanning interessante Geschichten aus dem Handball erzählen und Bennet Wiegert beispielsweise über eine Auswärtstour nach Sibirien berichtet.
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Daniel Duhr