17.06.2024, 18:00
Das sind die Probleme des THW
Der THW Kiel hat als Tabellenvierter die Titelverteidigung in der Handball Bundesliga klar verpasst. Dabei offenbarte der Rekordmeister in der abgelaufenen Spielzeit zahlreiche Schwächen.
Zwar qualifizierte sich der THW Kiel in dieser Saison erstmals seit 2020 wieder für das Final Four der Champions League, doch in der Handball Bundesliga hechelte die Mannschaft den eigenen Ansprüchen hinterher.
Am Ende stand ein enttäuschender vierter Platz zu Buche - die Qualifikation für die Champions League wurde verpasst, es geht nächste Saison international in die Handball European League. Der Rückstand auf den neuen Meister aus Magdeburg betrug am Ende satte 15 Punkte - zu viel für die hohen Ansprüche beim Rekordmeister.
Der Verein kündigte nach der schlechtesten Saison seit der Saison 2002/2003, als man sogar 28 Minuspunkte kassierte und nur Sechster wurde, bereits eine Analyse an. "Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen", erklärte THW-Geschäftsführer Viktor Szilagyi gegenüber der dpa.
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Die Probleme des Rekordmeisters sind dabei durchaus vielfältig, wie ein Blick auf die Zahlen offenbart. Besonders auffällig ist der Einbruch auf der Torwartposition. "Den Kielern fehlte diese Saison einfach ein großer Rückhalt im Tor", meinte THW-Legende Magnus Wislander jüngst bei den Kieler Nachrichten.
Nachdem Niklas Landin und Thomas Mrkva im vergangenen Jahr noch eines der besten Duos gebildet hat, waren die Keeper in diesem Jahr alles andere als meisterhaft. Mrkva und der während der Saison gekommen Samir Bellahcene kamen lediglich auf 362 Paraden. Damit liegen sie ligaweit nur auf Platz elf.
Zwar ist ihre Fangquote von 26,83 Prozent der neuntbeste Wert der Liga, aber auch hier wird der Rückschritt mehr als deutlich. In der Vorsaison kamen Landin und Mrkva noch auf 470 Paraden und einer Fangquote von 33,89 Prozent, womit sie an der Spitze lagen.
Ob dies in der kommenden Saison merklich besser wird, bleibt abzuwarten. Die größte Hoffnung liegt wohl auf Bellahcene, der in den ersten Wochen in Deutschland überragend pariert hatte. Er stellte damit auch Vincent Gerard in den Schatten. Sein französische Landsmann war als Nummer eins eingeplant, absolvierte wegen einer Verletzung aber nie eine Partie für die Kieler, ehe er im Winter den Verein frustriert verließ.
Ob der THW auf der Position nochmal nachbessert, ist ungewiss. Eine vorzeitige Verpflichtung von Gonzalo Perez de Vargas, der 2025 nach Kiel kommt, ist laut der Kieler Nachrichten ausgeschlossen. Auch andere Namen wie Andreas Wolff, der auch beim SC Magdeburg gehandelt wird, oder Viktor Gisli Hallgrimsson, der vor einem Wechsel zu Plock stehen soll, sind derzeit eher unrealistisch.
Auch offensiv sticht vor allem eine Statistik ins Auge, bei der der THW alles andere als zu den Top-Teams zählt. Mit 280 Rückraum-Tore aus der Nahdistanz liegen sie nur auf Platz 16 in der Liga, nur Erlangen und Balingen erzielten noch weniger Treffer aus solchen Situationen. Zum Vergleich: Magdeburg führt diese Kategorie mit 447 Treffern an.
Es offenbart klar, dass die Spielweise der Kieler im Kontrast zu dem steht, was andere Mannschaften seit einigen Jahren propagieren: 1-gegen-1-Duelle. Stattdessen verlassen sich die Zebras auf ihre Shooter wie Eric Johansson und Harald Reinkind.
Mit 276 Toren aus der Distanz und einer Wurfquote von 50,46 Prozent stehen die Kieler Schützen in beiden Kategorien an der Spitze der Liga. Doch so gut die Jicha-Truppe auch aus der Fernwurfzone trifft, die Ausbeute der anderen Teams durch die Durchbrüche oder die so herausgeholten Siebenmeter und Überzahlsituationen ist höher.
Ins Auge fällt auch die Rolle von Mykola Bilyk. Der Österreicher wurde vor der Saison zum Co-Kapitän ernannte und sollte nach dem Weggang von Sander Sagosen und Miha Zarabec fortan auf der Mitte Regie führen.
Doch statt 22:58 Minuten spielte der Rückraumspieler in der abgelaufenen Saison durchschnittlich nur 19:27 Minuten. Damit wird er weniger als die Youngsters Johansson (27:24 Minuten) und Elias Ellefsen Skipagötu (20:10 Minuten) eingesetzt.
Da verblüffte es etwas, dass der Verein trotzdem mit ihm den Vertrag Ende vergangenen Jahres bis 2026 verlängerte. Dieses Vertrauen des Vereins muss er nicht mit seinen Leistungen untermauern, sondern auch auf dem Platz spüren.
Schließlich hat er bei der Handball-EM im Januar im Trikot von Österreich gezeigt, wie stark er sein kann. Mit 41 Toren landete er auf Platz acht der Torschützenliste und führte sein Land fast bis ins Halbfinale. Dort hatte er allerdings auch mit Lukas Hutecek einen Spielmacher neben sich, der Räume für Bilyk kreiert.
Die Personalie Bilyk offenbart aber auch ein weiteres großes Problem des THW Kiels: Die Personalplanung beim Rekordmeister, in die insbesondere der Abgang von Sander Sagosen eine Lücke riss. Beim Blick auf die Altersstruktur fällt auf, dass es nur wenige Spieler gibt, die alterstechnisch auf dem Höhepunkt ihrer Karriere stehen.
Besonders im Rückraum ist dieser Altersunterschied mehr als deutlich zu erkennen. Einzig Bilyk ist mit seinen 28 Jahren auf dem vermeintlichen Alters-Höhepunkt seines Schaffens. Während Domagoj Duvnjak und auch Harald Reinkind schon im Herbst ihrer Laufbahn sind, stehen Skipagötu, Johansson, Karl Wallinius und auch Neuzugang Emil Madsen erst am Anfang ihrer Karriere.
Dieser Umbruch im Rückraum war zwar notwendig - gleichzeitig durch den Abgang von Sander Sagosen aber auch ein wenig erzwungen. Doch die abgelaufenen Spielzeit legt schonungslos offen, dass er auch Risiken birgt: Schließlich brauchen die jungen Spieler Zeit, um konstant über eine Saison auf hohem Niveau zu spielen - etwas, was erfahrenere Spieler bereits können.
"Unser Gerüst ist nicht stabil genug. Wir müssen Gas geben und so schnell wie möglich zurückkommen", sagte daher Viktor Szilagyi. Der THW-Geschäftsführer dürfte alle Hände voll zu tun haben, um den Verein wieder auf Kurs Meisterschaft zu bringen. Zumal am Kreis mit der aktuellen Besetzung Patrick Wiencek, Hendrik Pekeler und Petter Överby die nächste Altersbaustelle wartet.
Mit der Strahlkraft des THW Kiel und dem Pfund des Zuschauerkrösus sowie des bekanntesten Handball Klubs in Deutschland gibt es unterdessen ein wichtiges Fundament. Dass der Klub bald wieder in ruhigere Fahrwasser kommt, steht für Wislander außer Frage. "Der THW wird auch in Zukunft eine Top-Mannschaft sein, da bin ich mir sicher. Ein, zwei Jahre, in denen es nicht so gut läuft, gibt es immer mal", meint der einstige Regisseur des Klubs.
Sebastian Mühlenhof