29.03.2024, 16:16
Kaum Nationalspieler mit Migrationshintergrund
Auf der Suche nach Talenten hat der deutsche Handball mit einem Nachteil zu kämpfen, schließlich üben nur wenige Menschen mit Migrationshintergrund den Sport aus. Aber woran liegt das?
Wolff, Kastening, Köster, Golla oder Knorr - das sind die Handball-Stars hierzulande. Dabei fällt auf: Sie tragen zumeist klassisch deutsche Namen. Einzig Renars Uscins, der in Lettland zur Welt und mit seinen Eltern erst 2005 nach Deutschland kam, steht im aktuellen Kader der Nationalmannschaft im Kontrast dazu.
Diese Tatsache belegt ein großes Problem im Handball: Der Sport hat ein Schwierigkeiten, Migranten für den Sport zu begeistern. Laut dem DHB haben nur 7 Prozent aller Spieler:innen einen Migrationshintergrund. "Handball ist kein globaler, sondern ein europäisch dominierter Sport", sagte Stefan Kretzschmar im Herbst vergangenen Jahres im ZDF-Sportstudio.
Mit dieser Einschätzung ist der Ex-Profi alles andere als alleine. "Ich denke, das sieht man schon bei den Zuschauern in der Halle. Dort ist auch nicht viel Publikum mit Migrationshintergrund vertreten", schildert Djibril M’Bengue seinen Eindruck gegenüber handball-world.
Der Halbrechte muss es wissen. Zwar ist er in Deutschland groß geworden, sein Vater kommt aber aus dem Senegal. Er hat es als erst dritter Schwarzer Spieler in die Nationalmannschaft geschafft. Dabei lagen zwischen seinem Debüt im DHB-Trikot und dem vom letzten schwarzen Spieler Louis Rack 40 Jahre - und somit eine sehr lange Zeit.
Bei den Frauen ist die Quote noch gravierender: Nur Michaela Erler, die 1993 Weltmeisterin wurde, und Laetitia Quist von der HSG Blomberg-Lippe schafften als Schwarze Spielerinnen den Sprung in das DHB-Team.
"Man muss Handball attraktiv machen, sodass für die Handballkultur Interesse besteht. Das fängt im Kindesalter an", fordert daher M’Bengue. Dafür macht sich auch Johanna Stockschläder stark. "Ich bin selbst zum Handball gekommen, weil damals eine Trainerin in die Grundschule gekommen ist und ein Angebot gemacht hat. Dieser frühe Kontakt zum Handball war sehr wichtig", sagte die Nationalspielerin mit paraguayischen Wurzeln zu handball-world.
Diese direkte Ansprache dürfte umso wichtiger sein, da dem Sport die Straßenspiel-Kultur anderer Sportarten fehlt. "Wenn man dagegen den Fußball anschaut: Es ist so einfach, auf die Straße zu gehen und Fußball zu spielen", meinte Djibril M’Bengue bereits 2022 zum SWR.
Zu den Gründen des geringen Interesses von Migranten am Sport gab es sogar schon Studien. 2019 veröffentlichten Dr. Klaus Cachay und Dr. Carmen Borggrefe eine Arbeit mit dem Titel: "Weltmeister werden mit Euch! Aber wie? Eine Studie zum Problem der Unterrepräsentanz von Spielerinnen und Spielern mit Migrationshintergrund im Handball".
Dabei berichten die beiden Wissenschaftler, dass das Image des Sports eine gewichtige Rolle spielt. "Die Sportart wird als deutsche Sportart wahrgenommen", schildert Borggrefe aus Gesprächen mit Migranten. Das würde dazu führen, dass die Menschen Probleme bekommen würden, wenn sie "'zu den Deutschen' zum Handball gehen".
Diese Hürde dürfte nur schwer zu überwinden sein - und müsse, so die häufige Forderung in Richtung der Verbände und Vereine, auch in der Ansprache an neue Mitglieder berücksichtigt werden.
Denn weiterhin kommen viele Kinder zum Handball, weil sie diesen aus dem Elternhaus kennen. Beim aktuellen DHB-Team haben gleich mehrere Spieler sogar Eltern als Vorgänger im National-Trikot. Übrigens auch Renars Uscins: Sein Vater Armands war Nationalspieler in Lettland, kam als Handball-Profi nach Deutschland.
Klar ist: Vereine und Verbände müssen handeln, damit der Sport attraktiv für alle ist. Schließlich haben immer mehr Kinder einen Migrationshintergrund, 2022 galt das bereits für 40 Prozent aller unter 10-Jährigen.
Eine Lösung ist dabei jedoch nicht leicht zu finden. "Wenn ich das wüsste, hätte ich dem DHB schon eine Vorlage geliefert, um mehr Kinder mit Migrationshintergrund zum Sport zu bringen", sagt Djibril M’Bengue - ihn und andere Handballer mit entsprechenden Erfahrungen einzubinden könnte dabei ein Schritt sein.
Während Stockschläder die Grundschulaktionstage als "sehr gute Sache" ansieht, geht der Verband neue Wege. So lud er im vergangenen November zum "Tag des Handballs" 400 türkischstämmige Nachwuchshandballer ein, die das U17-Spiel der Türkei gegen Deutschland in der Münchner Olympiahalle verfolgen konnten. Auch die gemeinsam mit Griechenland ausgetragene U21-WM im Sommer diente dazu, den Sport in Südosteuropa noch populärer zu machen.
"Für uns ist es eminent wichtig, diese Leute zu begeistern, natürlich auch für den Handball zu begeistern. Für uns ist es im gleichen Zug auch eminent wichtig, dass wir als Sportart globaler werden. Dass wir den olympischen Status behalten und auch auf anderen Kontinenten eine Rolle spielen", machte Stefan Kretzschmar unlängst klar.
Damit nimmt er auch die internationalen Verbände in die Pflicht. Schließlich interessieren sich in den zwei größten Sportnationen USA und China nur sehr wenige Menschen für den Sport. Auch im vorderasiatischen Raum ist das Interesse sehr gering.
Somit sind alle Beteiligten gefordert, Lösungsansätze zu finden. Und wer weiß: Vielleicht können die Bundestrainer auch bald auf die Handball-Version von Jamal Musiala oder Antonio Rüdiger zurückgreifen.
Sebastian Mühlenhof