24.07.2024, 13:54
DHB-Nachwuchs "auf einem guten Weg"
Jochen Beppler steckt als Co-Trainer der Handball-Nationalmannschaft der Frauen mitten in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Als Chef-Bundestrainer Nachwuchs hat er aber auch immer die Zukunft im Blick, und die spielt in diesem Sommer vor allem bei den Welt- und Europameisterschaften der U-Teams auf. Beppler (44) ordnet ein und blickt voraus auf die noch ausstehenden U18-Turniere.
Die männliche U20 hat gerade in Slowenien Platz vier erreicht, die weibliche U20 kam bei der WM in Nordmazedonien ohne mehrere Leistungsträgerinnen auf Platz neun.
Zwei von vier großen U-Meisterschaften dieses Sommers sind bereits gespielt - Zeit für eine Halbzeitbilanz. Was bleibt bisher hängen nach diesen beiden U20-Turnieren?
Jochen Beppler: Unser Weltmeister-Team 2023 der Jahrgänge 2002/03 ist zu einem ähnlichen Zeitpunkt der Entwicklung bei der EM in Portugal 2022 ausgeschieden, war ein Jahr später Champion - und Tim Freihöfer hat im Nachgang gesagt, dass ein Jahr Bundesliga-Erfahrung den entscheidenden Fortschritt gebracht hat.
Unsere Außen wie David Móré oder Marvin Siemer spielen bereits Bundesliga-Niveau. Auch Jarnes Faust in Kiel und Tim Gömmel in Erlangen haben das gut gemacht. Im kommenden Jahr geht es neben der Weiterentwicklung jedes Einzelnen nun darum, auch Rückraumspieler in Erst- oder Zweitligateams voranzubringen, um so auch das Team variabler zu machen.
Und wie schaut’s bei den U20-Juniorinnen aus, die nach der WM die DHB-Förderung verlassen?
Mir hat es für Team und Trainer leidgetan, dass sie bei der WM unter ihrem spielerischen Wert geschlagen wurden. Eine hauchdünne Niederlage gegen den späteren Weltmeister Frankreich hat bereits in der Vorrunde den Weg in die Finalrunde gekostet bzw. erschwert.
Aber auch ohne Viola Leuchter, die bereits im Olympiakader steht, altersmäßig aber noch ins Team gehören würde, haben die Juniorinnen Schritte nach vorne gemacht. Und unter anderem auch mit der noch zwei Jahre jüngeren Lara Däuble hat sich die Mannschaft auf jeden Fall spielerisch weiterentwickelt und verfügt über perspektivisch interessante Kandidatinnen fürs A-Team. Darum geht’s vor allem.
Die Priorisierung "individuelle Entwicklung vor mannschaftlichen Ergebnissen" bleibt also erhalten?
Ja, denn da befinden wir uns weiter auf einem guten Weg. Aus den Jahrgängen 2000/01 haben wir Julian Köster und Juri Knorr in die A-Mannschaft transportieren können. Aus dem Weltmeisterteam 2002/03 haben das Justus Fischer, Renars Uscins, David Spät und Nils Lichtlein sogar noch schneller geschafft. Da haben wir bereits einiges gut gelöst, muss aber immer schauen, an welchen Stellen wir den Entwicklungsprozess weiter optimieren können.
Auch bei den weiblichen Talenten kommen wir mit ein wenig zeitlicher Verzögerung dahin, dass wir aus dem System stabil Spielerinnen fürs A-Team entwickeln können. Dabei denke ich zum Beispiel an Ida Petzold, Lara Däuble oder Nieke Kühne für relevante Positionen wie Rückraum und Kreis.
In der Sichtung und in Zusammenarbeit mit den Vereinen bemühen wir uns, die Außen stärker in den Fokus zu rücken - da gibt es mit Blick auf eine langfristige internationale Perspektive leider viele Mädchen, die auf den Flügeln besser als im Rückraum aufgehoben wären.
Gibt es neue Instrumente über die Eliteförderung hinaus, die Top-Talente individuell noch besser auf den Weg zu bringen?
Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Struktur und Arbeit auf Basis einer Weltstands-Analyse verbessert. Dabei haben uns auch Audits geholfen, denn wir haben Experten unter anderem aus Portugal, Frankreich und Dänemark sowie anderen Sportarten zu unseren Sichtungsmaßnahmen geholt, um nicht im eigenen Saft zu köcheln und uns von außen sagen zu lassen, wo noch Schwachstellen im System sind.
Mit welchen Ergebnissen?
Schlüsselfragen waren: Was für ein Wettkampfsystem haben wir? Wie gestalten wir die Sichtung? Welche Inhalte müssen wir anpassen? Wie arbeiten wir in den Lehrgängen weiter? Gerade bei den Mädchen haben sich zusätzliche Maßnahmen mit Spielen in Polen, Vergleichen mit der Schweiz oder der mit dem Finale erfolgreichen Teilnahme an European Open bezahlt gemacht.
Bei den Jungs sind Maßnahmen mit Portugal und Spanien hinzugekommen, dazu haben wir Formate wie die Ruhr Games sinnvoll in unseren Ausbildungsplan integriert. Das war notwendig, denn allein Frankreich hatte in der Vergangenheit zum Beispiel in der Talententwicklung einen Vorsprung von bis zu 15 Länderspielen.
Die größere Zahl an Maßnahmen und Länderspielen schafft Transparenz und vor allem in der Spitze eine größere Breite. So können wir aus den Sichtungsjahrgängen 40 bis 50 Spielerinnen und Spieler übergeben, die auf Länderspiel-Erfahrung bauen können.
Und ein weiterer Baustein…
…ist in jedem Fall die Trainerausbildung, die wir stärker an Inhalte und Bedürfnisse des Nachwuchsleistungssport geknüpft haben. Auf Basis unserer Rahmentrainingskonzeption hat sich dort vor allem unsere Ausbildung im Nachwuchsleistungssport, die seinerzeit vom DOSB mit einem Innovationspreis bedacht wurde, etabliert.
Die Achillesferse des gesamten Systems ist und bleibt jedoch die Anschlussförderung. Da arbeiten wir gemeinsam mit den Ligen an weiteren Fortschritten. Unser von der HBL angenommener Wunsch ist, dass beispielsweise die Cheftrainer der Bundesligisten die Verantwortung für die Entwicklung ihrer Top-Talente übernehmen. Sie müssen nicht selbst jeden Tag mit dem Nachwuchs der Halle trainieren, aber sollen die jungen Spieler selbst im Blick behalten.
Also wird Talententwicklung zur Chefsache?
Ja. Wir haben jetzt einen wesentlich größeren Pool an jungen Spielern. Wir sehen auch an einigen Paradebeispielen, dass es sehr wohl funktionieren kann, junge Leute früher in die Bundesliga zu bringen.
Werfen wir mal einen Blick auf das, was jetzt noch im August kommt: die U18 Europameisterschaft der Jungs und die U18 Weltmeisterschaft der Mädels. Worauf dürfen wir uns da freuen?
Wir haben bei den Jungs ähnlich wie bei der U20 wieder eine ganz schwierige Gruppe mit Frankreich in der Vorrunde. Der Doppeljahrgang 2006/07 ist sehr, sehr breit aufgestellt mit viele Talenten, die bereits das EYOF gewonnen haben und eine Perspektive für die A-Mannschaft besitzen. Und bei den Mädels haben wir es ebenfalls mit einem EM-Medaillengewinner zu tun - aber jetzt muss man sehen, wie sie in China ihre erste WM spielen, wenn sie auf ganz andere Spielstile treffen.
Da wir jetzt vor den Olympischen Spielen 2024 in Paris stehen, sage immer gern, dass diese Spieler und auch Spielerinnen die "Generation Brisbane" sind. Auch die Bewerbungen des DHB für die Europameisterschaften 2032 der Männer und Frauen sind ein extremer Ansporn. Entscheidend ist, dass Jungen und Mädchen mit hoher Trainingsqualität und den notwendigen Umfängen ihre Wege fortsetzen können.
Und mich freut, dass wir mit den 2008er-Jungs wieder einen super Jahrgang an den Start gebracht haben, der aus den ersten drei Länderspielen gegen Frankreich, das wieder eine sehr starke Generation aufbietet, 5:1 Punkte geholt hat. Auch unsere neue Generation an Mädchen der Jahrgänge 2008/09 hat mit ihrem Auftritt bei den European Open angedeutet, dass sie -vorausgesetzt sie investieren weiterhin so fleißig in ihre Entwicklung - über großes Potenzial verfügen.
Welche Profile werden für die künftigen Nationalmannschaften der Männer und Frauen gesucht? Gibt es konkrete Arbeitsaufträge für die Nachwuchsförderung?
Wir haben in der Entwicklung zuletzt auf die richtigen Inhalte gesetzt, indem wir beispielsweise das Tempospiel in die Sichtung genommen haben. Nur so bekommen wir Hinweise auf eine individuelle Angriffsqualität. Distanzwürfe sind sicher eine Qualität, aber du wirst nur unter Gegnerdruck in einem geringen Zeitraum mit großer Handlungsdichte sehen, wer Lösungen findet. Das kann sich allerdings nur entwickeln, wenn du diese Trainingsparameter oder Gegenspieler hast. Da gibt es eine Wechselwirkung zwischen Abwehr und Angriff.
Einen weiteren Schwerpunkt…
…werden wir bei den kommenden Sichtungen bei den Kreisläufer:innen setzen. Bei vielen Turnieren sind sie Topkandidaten für die MVP, also die wertvollsten Spieler. Sie schaffen Räume, vollenden nicht nur, sondern haben auch Spielmacher-Qualitäten. Insgesamt müssen wir uns da nicht verstecken - im Gegenteil: Wir gehören beständig zum Kreis der Nationen, die Trends bestimmen.
chs, DHB