vor 21 Stunden
Zweite Welle - Deine Handball-Kolumne
Mit Nikola Karabatic und Mikkel Hansen haben die zwei Handball-Superstars der vergangenen Jahre ihre wohlverdiente Rente angetreten. Aus dem Windschatten heraus war Sander Sagosen auf dem Weg, das Erbe anzutreten. Jetzt ist er wie Norwegens Nationalteam in der Sackgasse - und rechts überholt worden vom anderen, neuen Superstar.
Eine Kolumne von Daniel Duhr
Er war auf dem besten Weg, der legitime Nachfolger der Handball-Ikonen Nikola Karabatic und Mikkel Hansen zu werden: Norwegens Ausnahmespieler Sander Sagosen. Sein Weg, sein Aufstieg zum besten Handballer der Welt, schien vorgezeichnet und bereitet. Zumindest, bis Kolstad kam.
"Kolstad", das handballgewordene Mega-Projekt des dortigen Vereins und des Einzelhandel-Riesen Rema1000, der Millionen in den Aufbau einer vereinsgemeldeten, norwegischen Nationalmannschaft pumpte und Top-Spieler wie Magnus Gullerud aus Magdeburg, Magnus Rød und Gøran Søgard Johannessen aus Flensburg und eben Sander Sagosen aus Kiel zurück in die Heimat lockte.
Weil aber auf die Euphorie, einen potenziellen norwegischen Champions-League-Sieger aus der Taufe gehoben zu haben, schnell die Ernüchterung durch massive Gehaltskürzungen und durchwachsene sportliche Ergebnisse folgte, steht das Projekt Kolstad heute nicht mehr für Glanz, Glamour und Norwegens Sturm auf den europäischen Handball-Thron.
Heute steht Kolstad, vielleicht auch ein Stück weit stellvertretend und nicht eins zu eins übertragbar auf den schwachen WM-Start, für den Niedergang des norwegischen Handballs. Die Überschriften der norwegischen Medien tragen seit den zwei Pleiten gegen Brasilien und Portugal und dem damit einhergehenden, wahrscheinlichen Hauptrunden-Aus bei der Heim-WM nur noch Trauerflor: Von "Fiasko" und "Schande" ist die Rede.
Als sportlicher Hoffnungsträger Nummer eins hat Sander Sagosen seine Leistung der des Teams nach unten hin angepasst. Nur sieben Tore aus 21 Versuchen in der Vorrunde - magere 33,33 Prozent sind das -, dazu ungewohnt viele Ballverluste, womit er ebenfalls in guter, oder besser: schlechter Gesellschaft war.
Das ist zu wenig für die Ansprüche des norwegischen Verbands, zu wenig für die Ansprüche der norwegischen Fans und vor allem viel zu wenig für seine eigenen Ansprüche. Und damit ist er, auch durch kraftraubende Verletzungen in den vergangenen Spielzeiten, längst nicht mehr der neue Superstar.
Sander Sagosen ist nach wie vor ein über die Maße begabter Handballer, der gerade auf der Spielmacherposition - auf der er in der Nationalmannschaft jedoch kaum spielt - Qualitäten hat wie kaum ein anderer. Aber er bringt diese aktuell nicht mehr so konstant auf die Platte, wie noch zu besten Pariser und Kieler Zeiten.
Das heißt nicht, dass er nicht immer noch der weltbeste Handballer werden kann, zumal wenn er - wie spekuliert wird - im Sommer zurück nach Aalborg und damit wieder in ein positiveres Vereinsumfeld wechseln sollte. Zu wünschen wäre es ihm. Aber mit 29 Jahren hat er sich für den Moment zumindest festgefahren.
Sackgasse Kolstad. Und was den Superstar-Status betrifft, ist er wieder zurückgerutscht in die Anwärter-Rolle, in der sich aber auch jede Menge andere Handballer befinden, viele um einige Jahre jünger als er.
Mit Vollgas überholt wurde Sagosen derweil von einem Dänen. Rechts überholt, genauer gesagt: halbrechts, von Mathias Gidsel. Der Berliner Fuchs spielt aktuell in einer anderen Liga als Sagosen, so, wie auch die dänische Nationalmannschaft in einer anderen Liga spielt als die norwegische. Dass Gidsel der aktuelle und - sollte er verletzungsfrei bleiben - auch auf Sicht der kommende Superstar im internationalen Handball ist, hat drei Gründe.
Erstens: Er ist mit seinen erst 25 Jahren schon sehr gereift, mittlerweile sehr klar und aufgeräumt im Kopf und arbeitet in einem absolut stabilen Umfeld. Zweitens: Er ist der Mensch gewordene Spaß am Handball, bringt Kinderaugen zum Leuchten und strahlt selbst ganz regelmäßig sogar während des Spiels bis über beide Ohren.
Er arbeitet den Handball nicht, er spielt ihn - und die Fans lieben ihn dafür. Und drittens, um es in Kontrast zu Gidsels sympathischer Bodenständigkeit mit José Mourinho zu formulieren: Mathias Gidsel ist der erstbeste, zweitbeste und drittbeste Handballspieler der Welt.
In Zweite Welle schreibt Bestseller-Autor Daniel Duhr regelmäßig über aktuelle Handballthemen auf und neben der Platte. Und lädt Euch damit zur Diskussion ein. Welchen Standpunkt vertretet Ihr? Wir freuen uns auf Eure Meinungen!