08.09.2024, 14:00
Olivier Krumbholz legt nach insgesamt 23 Jahren sein Amt nieder
Am Freitag wurde der Nachfolger von Olivier Krumbholz vorgestellt. Er war seit 1998, mit 30 Monaten Unterbrechung, Nationaltrainer der französischen Handballerinnen. Der heute 66-Jährige hat eine insgesamt 23 Jahre dauernde Ära mit vielen Erfolgen geprägt - in seiner zweiten Amtszeit seit 2016 gab es diese beinahe in Serie. Wie kam es zu dieser Medaillenflut?
Der Handballfuchs aus dem grenznahen Longeville-lès-Metz an der Mosel hat in Metz das Handballspielen gelernt. Sein Sportlehrer in der vierten Klasse habe Krumbholz für die Sportart begeistert und er wiederum habe seine Brüder "infiziert", zur Missbilligung des Vaters, der Athletik-Trainer war. Handball habe er als "weniger streng und viel spielerischer" empfunden. Er hatte Talent, schon mit 18 Jahren war er mit SMEC Metz in der ersten Liga aktiv.
Als Vereinstrainer bei ASPTT Metz, dem Vorläufer des heutigen Metz Handball, verdiente er sich dann von 1986 bis 1995 die ersten Sporen. In diesem Zeitraum wurde, mit den ersten Titeln ab 1989, der Grundstein für die Dominanz des Vereins und heutigen Rekordmeisters im französischen Frauenhandball gelegt. Und Krumbholz baute nach Kräften daran mit, beendete seine Karriere als Spieler frühzeitig, um Trainer zu sein.
Olivier Krumbholz geriet durch seine Arbeit an der Seitenlinie in den Fokus des Nationalverbands, der den 34-Jährigen 1992 als Nationaltrainer der Juniorinnen berief. Der französische Frauenhandball befand sich damals auf Leistungsniveau gerade im Aufbau. Erst seit 1997 nimmt das Nationalteam regelmäßig an Welt- und Europameisterschaften und Olympischen Spielen teil. Ein Jahr später wurde Krumbholz sein Trainer, hatte zuvor in der Jugendarbeit die Grundlagen für das dann Folgende gelegt.
Krumbholz trat im neuen Amt die Nachfolge von Carole Martin an, deren Weg er lange verfolgt hatte. Sie sei genauso ein Vorbild gewesen wie sein Bruder Jean-Paul, der beim SMEC sein Mitspieler war, später auf regionaler Ebene die Ausbildung der Handballer betreute und ein guter Gesprächspartner zur Trainingslehre wurde. Auch die Trainer Rudy Bertsch, mit seinem Auge für Talentförderung, und die Trainerikone der französischen Männer, Daniel Costantini, hätten Krumbholz geprägt.
"Sie haben mir erlaubt, meine Arbeit zu strukturieren", erzählte Krumbholz einem regionalen Magazin. Mit dem zweiten Platz bei der Weltmeisterschaft 1999 stellte sich sofort der Erfolg ein. Die Equipe Tricolore hatte die Vorrunde als Zweite hinter Österreich beendet und in der K.O.-Runde zunächst Polen und - nach Verlängerung - Dänemark besiegt, den damals amtierenden Weltmeister. Im Halbfinale folgte gegen Rumänien der nächste Krimi. Im Endspiel war Norwegen dann erst in der zweiten Verlängerung überlegen.
In den Folgejahren etablierte Krumbholz die Französinnen im Rang einer Topnation. Der WM-Titel 2003 bleibt dem "ewigen Nationaltrainer" dabei in Erinnerung, denn im Finale gegen Ungarn holte sein Team in sieben Minuten sieben Tore auf und drehte das Spiel.
Anschließend an die Olympischen Spielen 2004 (Rang vier) folgte dann eine erste Delle. Das Gleiche spielte sich nach Olympia bei der EM 2008 ab, als Frankreich ohne Zähler nach der Vorrunde ausschied. In allen anderen Jahren wurden stets respektable Ergebnisse erzielt.
Nach dem fünften Platz bei den Olympischen Spielen 2012 wiederholte sich die Geschichte erneut: Bei der Europameisterschaft im selben Winter resultierte, nach dem klaren Vorrundensieg im serbischen Niš, wegen einer knappen Hauptrunden-Niederlage gegen Gastgeber Serbien: Rang neun. Die Qualifikation für die WM 2013 gelang zwar, aber die Verantwortlichen entbanden Krumbholz nach 15 Jahren von seiner Mission.
Laut Medienberichten wurde bei diesem Bruch kritisiert, dass bisher keine olympische Medaille herausgesprungen war. Ihn plagten die fehlenden Olympia-Erfolge aber noch mehr als andere: "Jedes Mal war ich in tausend Stücken". Auch das 18:18 gegen Kroatien in Montbéliard im Hinspiel der WM-Playoffs hatte nicht gefallen. Außerdem wurde über Spannungen zwischen dem "Vulkan" (Le Point) auf der Trainerbank und der Mannschaft berichtet, die sich freilich das WM-Ticket 2013 im Rückspiel dennoch holte - ohne Krumbholz.
Eine olympische Medaille mit dem Team blieb auch Krumbholz' Nachfolger Alain Portes verwehrt. Nach der WM 2015 auf Rang sieben folgte dessen Demission. Die Spielerinnen wollten Olivier Krumbholz zurück und um Weihnachten herum hieß es tatsächlich: "Ich bin wieder da". Die Bronzemedaille bei den Olympischen Spielen in Rio, die so ersehnte erste, war dann ein wichtiges Zeichen, dass es mit Krumbholz wieder aufwärts gehen konnte.
Mit dem WM-Titel 2017 in Deutschland und dem EM-Gewinn 2018 schrieben Krumbholz und die Equipe Tricolore ihre Erfolgsserie fort. Der Kontrollfreak und Grantler, der er in seiner ersten Amtszeit sein konnte, hatte sich verändert: Der nun fast 60-Jährige ließ Mitsprache zu. "Sein Vorgehen war zu 100 % vorteilhaft. Da es mehr partizipative Elemente gibt, gibt es mehr Initiative von allen", beschrieb die damalige Spielerin Manon Houette 2017 im "Figaro".
Krumbholz habe sich allerdings nicht einen Abklatsch des in seinen späten Jahren passiv wirkenden Claude Onesta, den früheren Nationaltrainer der Männer, verwandelt. "Wir sind nicht im Glücksbärchi-Modus", wird Krumbholz im "Figaro" zitiert. Dennoch blieb nach einem 0:6-Lauf gegen Schweden bei der WM 2017 das Donnerwetter aus. "Er ist cool geblieben", kommentierte Abwehrspezialistin Béatrice Edwige damals sichtlich verdutzt.
"Es scheint, als habe ihm seine Zwangspause, in der er sich unter anderem um die Organisation der Männer-WM in Frankreich im Januar 2017 gekümmert hatte, geholfen, die Nuancen, die es heute braucht, um eine Frauenmannschaft zu managen, besser zu verstehen", schrieb Cedric Callier damals für den "Figaro". Er sei gut darin, im richtigen Moment die richtigen Worte zu finden, beschreibt Siraba Dembele im selben Artikel den "neuen" Olivier Krumbholz.
Olivier Krumbholz ist in seiner zweiten Amtszeit kein Mensch geworden, der etwas dem Zufall überließ. "Er ist ein Arbeiter und ein sehr spezieller Typ", so Dembele. Und er ist offener geworden: für neue taktische Varianten oder darin, jungen Spielerinnen sein Vertrauen zu schenken, wie Orlane Kanor bei ihren ersten Schritten im Team bemerkte, die 2024 längst zum Stamm gehört. Und er wechselt häufiger, achtet darauf, Pausen zu gewähren.
Daher folgten nach den Triumphen 2017 und 2018 weitere, auch wenn die WM 2019 mit Rang 13 ein Schlag ins Wasser war - es ist der einzige Tiefpunkt in seiner acht Jahre währenden zweiten Amtszeit. Olympisches Gold in Tokio, der Weltmeistertitel 2023 und zwei zweite Plätze folgten. Und bei Olympia 2024 schaffte es Frankreich wieder ins Finale - und war dort allerdings gegen Norwegen chancenlos. "Eine Enttäuschung", so Krumbholz.
Mit Olympischem Silber soll nun in Frankreich eine ewig lange Ära enden. Olivier Krumbholz ist zu einer Trainer-Ikone gereift wie Thorir Hergeirsson, der seit 2009 Trainer der Norwegerinnen ist, oder wie bei den Männern Ulrik Wilbek (Dänemark), Daniel Costantini (Frankreich) oder Wladimir Maximow (Russland). Er ist zum französischen Teamsport-Trainer mit den meisten Erfolgen avanciert. Kein anderer reicht in der "Grande Nation" an Krumbholz heran.
Nach den Olympischen Spielen aufzuhören, hatte Krumbholz bereits im September 2022 mitgeteilt. Nach dem Finale der Olympischen Spiele 2024 dauerte es dennoch drei Wochen, bis der Verband den Nachfolger, den bisherigen Co-Trainer Sebastién Gardillou, bekanntmachte. Der 66-Jährige schied damit aus seinem bis 2025 laufenden Vertrag aus, ganz wie er es zwei Jahre zuvor beschlossen hatte - auch wenn eine Verlängerung bis zur EM im Raum stand.
Olivier Krumbholz hat einmal gesagt, dass er außer dem Handball keine Leidenschaft habe. Er liebe aber die Ruhe, das Reisen und das Wandern. Die Insel La Réunion im indischen Ozean sei sein Lieblingsziel. Auch für seine Frau Corinne, "beste Kreisläuferin aller Zeiten" in Metz und verantwortlich tätig am Förderzentrum in Metz, wird es ein anderer Alltag sein. Es sei oft "ein Wechselspiel zwischen heiß und kalt" mit ihrem Ehemann, sagte sie vor knapp fünf Jahren in einem Interview mit dem Handball-Verband, als ihr Mann Olivier noch mittendrin war. Jetzt ist er im Ruhestand.
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Felix Buß