26.10.2024, 14:00
Interview über Thüringer HC, die Liga und das Nationalteam
Herbert Müller ist eine Trainerlegende in der Handball Bundesliga Frauen. Sowohl den 1. FC Nürnberg wie auch den Thüringer HC führte zu Triumphen in Meisterschaft, Pokal und Supercup und war zwei Jahrzehnte Nationaltrainer von Österreichs Frauen. handball-world hat mit dem 62-Jährigen über den neuen Modus der Handball Bundesliga Frauen, aber auch die Nationalmannschaft gesprochen
Wie zufrieden bist du mit dem Saisonstart?
Herbert Müller: Es war bislang durchwachsen. Mit der Mentalität der Mannschaft, wie sie arbeiten und miteinander umgehen, da bin ich sehr zufrieden. Auf und außerhalb des Spielfeldes harmonieren sie gut. Von der Qualität des Spiels bin ich noch nicht zufrieden. Da haben wir viel Luft nach oben.
Die neue Spielzeit wird mit einem neuen Modus gespielt. Geht man da leichter mit Niederlagen um, so wie nach dem Spiel in Bensheim?
Genauso ist es. Natürlich analysiert man jedes Spiel und versucht aus Fehlern zu lernen. Aber man muss sich bei weitem nicht über die Punktverluste ärgern wie sonst.
» Tabelle Handball Bundesliga Frauen
Wie siehst du den neuen Modus?
Ich bin kein Fan des neuen Modus. Der Meister einer langen Saison sollte über eine normale Runde ermittelt werden. Das ist der sportlich fairste Modus. Mit dem Playoff-System werde ich mich nie anfreunden, weil es unfair ist.
Flensburgs Trainer Nicolej Krickau vertritt die These, dass man durch den Meisterschaftsmodus in Dänemark mit Meisterrunde und Play-offs auch die generelle Entwicklung der Spieler besser vorantreiben kann, anstatt wie in der HBL immer nur auf die nächsten Ergebnisse schauen zu können. Hat sich deine Trainingsarbeit mit dem neuen Modus verändert?
Man hat Zeit sich um junge Spielerinnen zu kümmern, weil nicht mehr jedes Ergebnis wichtig ist. Es hat alles Vor- und Nachteile. Aber für die Bundesliga bevorzuge ich den normalen Modus mit Hin- und Rückrunde.
Wir haben andere Wettbewerbe, wie den DHB-Pokal, wo man mal gegen kleinere Gegner spielt. Natürlich hat man jetzt Zeit die Mannschaft zu formen. Aber mir widerstrebt es, dass jemand schon im April Schluss hat oder einer wird mit zwei guten Spielen plötzlich Meister oder schafft den Klassenerhalt.
Wenn man am Ende Ludwigsburg aus dem Weg gehen möchte, wird man vielleicht absichtlich verliehen oder wenn man es sich leisten kann, holt man noch eine Nachverpflichtung. Das sind nicht die Methoden, die ich gerne sehe.
Auch die Zahl der Teams wurde reduziert. Wie siehst du diesen Reformschritt?
Was mich an der neuen Bundesliga begeistert, ist die Ausgeglichenheit. Ich war kein Freund der Reduzierung auf 12 Mannschaften, weil man jungen deutschen Spielerinnen die Möglichkeit nimmt Erfahrungen auf dem hohen Niveau zu sammeln. Aber wenn ich das jetzt sehe, wo praktisch jede Woche nichts vorhersehbar ist. Das ist schon toll.
Ich nehme Ludwigsburg mal aus, die werden vorneweg marschieren und ich fürchte auch, dass Bayer Leverkusen abfallen wird. Die haben mit Leuchter, Thomaier und Lopes einen Top-Bundesligarückraum verloren. Ich wünsche es Beagle (Michael Biegler, Anm.), dass er den Klassenerhalt hinkriegt, aber das ist eine Mammutaufgabe. Aber von den anderen 10 Mannschaften, da kann jeder jeden schlagen und das macht den Kampf um die Play-offs richtig spannend.
Die Liga ist gerade in der Nationalmannschaftspause. Wie sieht aktuell dein Trainingsalltag aus, wenn viele Leistungsträgerinnen gar nicht da sind?
Wir müssen aus der 2. Mannschaft hochziehen, um die Trainingsqualität zu leisten. Wir nutzen aber auch solche Wochen, um mit jungen Spielerinnen wie Kim Ott, Liliana Jakubisova oder Dilayla Alarslan zu arbeiten. Da kann man viel individuell arbeiten und athletisch einen Schwerpunkt zu setzen.
In dieser Woche konnten wir aber auch Wunden lecken, weil wir auch einige angeschlagene Spielerinnen hatten. In den kommenden Wochen wird uns mit dem Start der European League nicht viel Zeit dafür bleiben.
Mir tun aktuell die Magdeburger leid. Die drei Punkte, die sie bislang in der Champions League haben, sind das Ergebnis einer völligen Überbelastung. Viele unterschätzen dabei die Reisestrapazen, das ist das, was am meisten schlaucht. Das Warten auf einen Flug, die langen Anfahrtszeiten. Das nimmt dem Sportler viel Energie. Wir haben die Woche genutzt, um diese Überbelastung rauszukriegen.
Bis zum Anfang des Jahres warst du selbst noch immer mit der Nationalmannschaft von Österreich unterwegs. Was hat sich für dich verändert?
An meiner Handballbesessenheit wird sich nichts ändern, aber meine Familie ist sehr dankbar. Ich habe vier Kinder und meine Jungs freuen sich, wenn der Papa mal zu einem Handballturnier oder Spiel mitkommen kann.
Dein altes Team wird im Dezember eine Heim-Europameisterschaft bestreiten. Was traust du den ÖHB-Frauen zu.
Ich habe vor zwei Jahren meine Unzufriedenheit ausgedrückt, was die Entwicklung von Mannschaft und Spielerinnen anging und hatte meine Angst ausgedrückt in der Wiener Stadthalle der Schweiz von der Tribüne zuzuschauen. Sie versuchen ihren Weg zu finden, dieser ist aber nicht mehr so wie mein Weg.
Aber trotzdem fiebert man mit und ich hoffe, dass man das Ziel Hauptrunde erreicht. Speziell durch die Rücktritte in der slowenischen Mannschaft ist das realistisch. Man muss im ersten Spiel die Slowakei schlagen und dann gegen Slowenien das Gruppenspiel reißen.
Gegen Norwegen muss Österreich nicht gewinnen, die haben eine ganz andere Qualität. Das konnte man auch gegen Deutschland sehen. In der 56. Minute ist man noch vorne, aber dann hat Norwegen mit Henny Reistad auch die beste Spielerin des Planeten in ihren Reihen. Diese Selbstverständlichkeit ein Spiel noch mal zu drehen, das ist schon unglaublich. Eine Camillla Herrem oder Katrine Lunde haben alles in ihrem Leben erreicht, aber die Gier nach Erfolg scheint nicht aufzuhören.
» Spielbericht Golden League: Deutschland - Norwegen
Die Handball-EM in Österreich, Ungarn und der Schweiz, die kommende Handball-WM in Deutschland und den Niederlanden. Wie kann so ein Handballturnier im eigenen Land für den Frauenhandball nachhaltig genutzt werden?
Das entscheidende ist, dass die Nationalmannschaft mit Spielerinnen als Zugpferd positiv auffällt. Man muss es schaffen als Randsportart in den Fokus zu geraten. Das gelingt durch den sportlichen Erfolg, aber auch durch das Auftreten der Spielerinnen.
Man muss es schaffen, dass man über uns spricht. Wenn das gelingt, kann man das in eine positive Richtung entwickeln. Es wäre wichtig einen Bock umzustoßen und mal in die Medaillenränge vorzustoßen. Die Qualität wäre auch schon in den letzten Turnieren gegeben gewesen.
Der DHB schielt langsam wieder nach Medaillen, will die Top4-Nationen Frankreich, Norwegen, Dänemark und Schweden attackieren. Eine realistische Erwartungshaltung oder wie weit ist das deutsche Team noch von der Weltspitze entfernt?
Das ist es definitiv. Es gibt viele Mannschaften, die nach Olympia im Umbruch sind. Die Dänen haben alles beisammengehalten. Aber bei einem guten Turnierverlauf trau ich der deutschen Nationalmannschaft alles zu, zumal man bei der EM eine gute Auslosung hat. Wir brauchen uns vor keiner Nation verstecken.
chs