17.03.2024, 10:44
"Wir werden alles reinwerfen"
Mykola Bilyk sorgt mit Österreich für Furore - erst bei der Handball-EM in Deutschland und nun bei der Olympia-Quali. Das heutige Endspiel um das Ticket nach Paris ist eine besondere Partie für Mykola Bilyk, der seit acht Jahren für den THW Kiel in der Handball Bundesliga spielt. Doch, wer ist Mykola Bilyk? Der in Tunesien geborene Sohn ukrainischer Eltern spricht über das heutige Spiel, die Kapitänsrolle beim THW Kiel, seine Wurzeln und die Akzeptanz über den Sport.
"Diese Woche bedeutet uns unglaublich viel, weil wir jetzt schon eigentlich Geschichte geschrieben haben, indem wir dieses Qualiturnier spielen dürfen. Wir freuen uns riesig auf das was jetzt die nächsten Tage auf uns zukommt. Eine große Chance und wir werden alles daran setzen, dass wir diese auch nützen", erklärte Kapitän Mykola Bilyk bereits vor dem Start der Olympia-Quali, die Österreich durch die guten Leistungen bei der Handball-EM erreicht hatte.
Erstmals in der Geschichte des Hallen-Handball bestreitet das Männer-Nationalteam aus Österreich eine Olympia-Quali. Zuletzt spielten die Männer von Handball Austria 1936 noch auf dem Feld olympisch. Diese Chance, will man unbedingt nutzen - auch weil es den Stellenwert des Handballs in Österreich immens hebeln würde, in Mannschaftssportarten ist die Wintersportnation bei Sommerspielen nur selten vertreten und somit wäre Aufmerksamkeit garantiert.
Die ist jetzt schon groß. Gegen Kroatien führte Österreich lange, im zweiten Abschnitt konnte der Favorit das Spiel dann aber drehen. Im Duell mit Algerien wurde das ÖHB-Team am Samstag dann seiner Favoritenrolle gerecht, konnte Kräfte schonen und gewann am Ende mit fünfzehn Tore - das letzte Gegentor war schmerzhaft, bei einem Sieg mit sechzehn Toren hätte Österreich heute ein Unentschieden gegen Deutschland gereicht, so wie im Januar beim 22:22. So benötigen Mykola Bilyk und seine Mitstreiter einen Sieg für den Traum von Olympia.
Nah am Sieg war Österreich im Januar, der Außenseiter dominierte in Köln lange Zeit das Spiel gegen den EM-Gastgeber. Mit einem Kraftakt konnte sich das DHB-Team am Ende ein 22:22 und einen immens wichtigen Punkt erkämpfen, der Deutschland am Ende ins Halbfinale brachte. Bei der Neuauflage geht es nun um Olympia. "Wir freuen uns extrem auf dieses Finale gegen unsere Nachbarn. Es wird sicher ein geiles Spiel. Es geht um alles und wir werden alles reinwerfen und hoffen, dass wir das Paris-Ticket buchen", so Mykola Bilyk.
Am Rande: Mykola oder Nikola Bilyk?
In Deutschland taucht er als Nikola Bilyk, in internationalen Wettbewerben wie jetzt bei der EM als Mykola Bilyk. Welche Transkription bevorzugt er selbst? "Ich schreibe in allen Dokumenten immer Mykola, es ist aber mittlerweile auch normal, wenn es mit N geschrieben wird. Ich lese es gerne mit M und Y, aber ich habe auch kein Problem mit der anderen Schreibweise", so der Rückraumspieler gegenüber handball-world.
Damit hätte Mykola Bilyk nicht unbedingt gerechnet. "Auf eine gewisse Art und Weise war das sicherlich überraschend", gab der 26-jährige Österreicher zu Beginn der Saison gegenüber handball-world mit Blick auf seine Benennung zum Kapitän des THW zu. Der Rückraumspieler spielt seine achte Saison in Kiel. Dass er das nun erstmals als einer von drei Kapitänen macht, ist für ihn eine ganz besondere Ehre und Auszeichnung - auch weil er nicht mit ihr gerechnet hatte.
"Ich habe einfach nicht viel darüber nachgedacht, wer Niklas` Rolle übernehmen wird", sagt er. "Als dann mit mir darüber gesprochen wurde, hat mich das natürlich sehr, sehr gefreut, dass die Entscheidung auf mich gefallen ist. Ich bin darüber sehr glücklich." Gleichberechtigt mit Domagoj Duvnjak und Patrick Wiencek ist er also nun einer der drei offiziellen Anführer der Zebras. Und diese Rolle hat Mykola Bilyk sich nicht mit flotten Sprüchen erarbeitet.
Der österreichische Nationalspieler war nie ein Lautsprecher. Er hat sich sein Standing bei Mannschaftskollegen und Trainerteam vor allem mit seinen Leistungen erarbeitet. Seit er im Sommer 2016 als gerade mal 19-Jähriger zum THW kam, hat er sich kontinuierlich zu einem beinahe unverzichtbaren Bestandteil des Rekordmeisters entwickelt. Mit den Zebras hat er in dieser Zeit bereits die Machineseeker EHF Champions League, den EHF-Pokal sowie je dreimal die deutsche Meisterschaft und den DHB-Pokal gewonnen.
"Das ist jetzt meine achte Saison. Ich habe in Kiel schon viel erlebt, viele Höhen und auch Tiefen, also alles so ein bisschen mitgenommen", erzählt Mykola Bilyk. "Das ist schon eine lange Zeit, und ich freue mich, dass ich es schon so lange hier geschafft habe." Seinen Stil will er durch die neue Rolle künftig allerdings nicht ändern. "Ich habe keine große Klappe, ich bin eher der entspanntere Typ", sagt er. "Aber ich weiß, worum es geht, warum ich hier bin - warum wir hier sind."
"Es passiert so viel Blödsinn auf der Welt. Warum?", fragt Mykola Bilyk im April im THW-Sonderheft von Bock auf Handball. Der Kieler Rückraumspieler geht regelmäßig in die Kirche und erklärte angesichts der aktuellen Situation in der Ukraine, der Heimat seiner Familie: "An meinem Glauben habe ich deshalb nicht gezweifelt."
"Stattdessen habe ich die Hoffnung, dass die Menschen irgendwann zur Vernunft kommen werden", so Mykola Bilyk. Ausblenden kann und möchte er die Geschehnisse in der Ukraine und in anderen Krisenregionen in keinem Fall. "Egal um was es geht: Vor allen schlechten Dingen, die auf unserer Welt passieren, sollte man nicht die Augen verschließen."
Der Sohn ukrainischer Eltern wurde in Tunesien geboren. Im Jahr 2000 zog er als Dreijähriger gemeinsam mit seiner Mutter und seiner kleinen Schwester dem Vater nach Wien hinterher, wo dieser bei den Fivers als Handball-Torwart unter Vertrag stand. In Wien wurde die Familie heimisch, Mykola Bilyk spielt für die Handball-Nationalmannschaft von Österreich.
"Ich war damals noch so jung, dass ich nicht verstanden habe, dass wir Ausländer sind, erinnert sich Mykola Bilyk im Bock auf Handball Sonderheft vage. "Je älter ich wurde, desto mehr habe ich natürlich verstanden, dass Österreich nicht unser Heimatland war. Ich merkte, dass einige Dinge für uns nicht so einfach sind."
Geholfen, um Fuß zu fassen, hat der Familie Bilyk insbesondere der Sport. Denn Mykola und Vater Serhij waren in erster Linie Handballer. "Das Schöne am Sport ist, dass die Herkunft keine Rolle spielt. Man schafft es immer irgendwie, sich zu verständigen. Und früher oder später wird die Kommunikation automatisch besser", weiß er aus eigener Erfahrung.
"Natürlich muss man sich auf eine gewisse Art und Weise anpassen. Aber das ist auch gut so, so ist die heutige Zeit." Bei den Fivers debütiere Mykola Bilyk mit sechzehn im Profi-Team - an der Seite seines Vaters. Ein Jahr später folgte bereits die Nominierung für das Nationalteam und 2016 gewannen Vater und Sohn die Meisterschaft in Österreich.
Heute ist Mykola Bilyk Champions-League-Sieger und als einer der Stars beim deutschen Rekordmeister THW Kiel und jetzt mit Österreich bei der EM in Deutschland gefordert. Mykola Bilyk ist als Kapitän das Aushängeschild von Handball Austria, übergab vor der Heim-EM 2020 das Trikot des ÖHB-Teams an Österreichs Bundespräsidenten Alexander van der Bellen.
"Das Kapitänsamt war vielleicht das letzte Zeichen, in Österreich akzeptiert zu werden", sagt der Rückraumspieler. "Es ist eine große Rolle. Für die Nationalmannschaft zu spielen, ist immer etwas Besonderes - egal, für welches Land man aufläuft. Ich darf Österreich repräsentieren, das gibt mir ein schönes Gefühl."
Doch seine Wurzeln hat er nicht vergessen. "Ich spiele für die österreichische Nationalmannschaft, aber meine Vergangenheit und die meiner Familie kann und will ich nicht komplett wegwischen: Ich bin für eine gesunde Mischung aus beidem."
cie mit Material Bock auf Handball