01.01.2024, 11:30
Der richtige Mann für die Zukunft?
Alfred Gislason würde gerne langfristig Handball-Bundestrainer bleiben. Der DHB wartet zunächst die Europameisterschaft ab. Ist der Isländer der Richtige für die Zukunft?
Vor knapp einem Jahr hätte es ganz schnell gehen können. Da schwärmte DHB-Präsident Andreas Michelmann von der Arbeit des Bundestrainers Alfred Gislason. Es mache Spaß, die erfrischenden Auftritte der Nationalmannschaft bei der WM in Polen und Schweden zu sehen, sagte Michelmann im Januar 2023.
"Es gibt keinen Grund, an Alfred in irgendeiner Form zu zweifeln", ergänzte der 64-Jährige. Im Gegenteil: Man wolle sich schon auf der nächsten Präsidiumssitzung im Februar mit einer vorzeitigen Vertragsverlängerung des Isländers beschäftigen. Seitdem sind etliche Monate vergangen. Und passiert ist: nichts.
Nun steht die DHB-Auswahl erneut vor einem großen Turnier. Der Vertrag von Alfred Gislason läuft noch bis zum kommenden Sommer. Dass er auch darüber hinaus gerne Bundestrainer bleiben würde, machte der 64-Jährige jetzt in einem Interview der Kieler Nachrichten deutlich.
"Ich kann mir gut vorstellen, bis 2027 mit der Mannschaft zu arbeiten. Es macht sehr viel Spaß. Und ich bin sicher, dass wir viel erreichen können", sagte Alfred Gislason in den Kieler Nachrichten. Die Gespräche darüber sollen nun aber erst ab Ende Januar beginnen. "Ich wurde gefragt, ob wir die Gespräche nach der EM führen können, und das ist für mich überhaupt kein Problem." Der DHB wartet also ab.
Und das ist nachvollziehbar. Sollte das deutsche Team etwa schon in der Vorrunde der Heim-EM ausscheiden, wäre eine Vertragsverlängerung mit Gislason öffentlich nicht zu vermitteln. Das Mega-Event mit dem ersten Spiel am 10. Januar vor über 50 000 Zuschauern gegen die Schweiz hat für den Bundestrainer also richtungsweisenden Charakter.
Und dies obwohl DHB-Präsident Michelmann schon vor einem Jahr beim Thema Vertragsverlängerung in die Offensive gegangen war. Auf der anderen Seite ist es nicht das erste Mal, dass öffentliche Äußerungen Michelmanns nicht in Einklang mit der Linie anderer DHB-Verantwortlicher stehen.
Während Michelmann etwa schon frühzeitig erklärte, dass das Halbfinale das Ziel für die Heim-EM sein müsse, versuchen Alfred Gislason, Sportvorstand Axel Kromer und Co. seit Wochen konkrete Zielformulierungen zu vermeiden. Alfred Gislason mag die Frage nach Turnierzielen nicht, er hält das für eine deutsche Besonderheit. Ob die kommende Handball-EM eine gute war, will er erst nach dem Turnier bewerten - das übrigens auch für ihn ein "Heim-Turnier" ist.
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Schaut man sich die bisherigen Platzierungen der deutschen Handball-Nationalmannschaft unter der Regie von Alfred Gislason an, liest sich das zumindest nicht atemberaubend. Bei den von Corona geprägten Großturnieren langte es 2021 bei der WM nur zu Platz 12, bei der EM 2022 ein Jahr später folgte Rang 7. Der Aufwärtstrend setzte sich mit Platz 5 bei der WM 2023 fort.
Bei den Olympischen Spielen von Tokio war unterdessen schon im Viertelfinale gegen Ägypten Schluss. Insgesamt weist Gislason nun 57 Länderspiele als Chefcoach der DHB-Männer auf. Davon konnte er 63,2 Prozent gewinnen, er kommt auf 1,33 Punkte pro Spiel. Zum Vergleich: Sein Vorgänger Christian Prokop holte 1,47 Punkte pro Spiel - mit ihm hatte der DHB aber auch nur 36 Länderspiele lang Geduld.
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Was die nackten Zahlen angeht, hat das DHB-Team sich unter Alfred Gislason also nicht verbessert. Die Verantwortlichen schätzen dagegen andere Fähigkeiten des Isländers, vor allem Erfahrung und Routine. Aus seiner langen und erfolgreichen Karriere als Vereinstrainer kennt Gislason Drucksituationen zu Genüge, aus der Ruhe bringt ihn so leicht nichts.
Zur Wahrheit zählt auch, dass Gislason mit Spielern arbeiten muss, die größtenteils (noch) nicht zur Weltklasse zählen. Auch darum halten die DHB-Bosse ihn nach wie vor für den bestmöglichen Coach dieses jungen Teams - weil sie ihm zutrauen, die Spieler irgendwann zu ebenjener Weltklasse zu führen.
Aber auch Alfred Gislason wird letztendlich an Ergebnissen gemessen, das weiß er auch selbst. "Ich arbeite sehr gern mit dieser Mannschaft. Ich finde, sie hat eine riesige Perspektive für die Zukunft. Ich bin aber lange genug dabei um zu wissen, dass man Erfolg haben muss", so der Isländer, der gegenüber der dpa nachschob: "Und das jetzt."
Nils Bastek