29.02.2024, 08:30
Zweite Welle - Deine Handball-Kolumne
Kolstad Handball steht in der Königsklasse vor dem Aus. Star-Spieler Magnus Rød verlässt das Team nach nur einer Saison. Und die Zweifel am einstigen Leuchtturmprojekt werden vor dem heutigen Champions-League-Spiel gegen Industria Kielce größer.
Ist das "Projekt Kolstad", ist der ambitionierte Plan, mit sehr viel Geld in sehr kurzer Zeit einen Champions-League-Sieger zu bauen, womöglich schon gescheitert?
Bis 2021 war Kolstad nur ein kleiner Punkt auf der norwegischen Landkarte, auf der internationalen Handballlandkarte sogar ein ganz kleiner. Und der dort ansässige Handballverein Mittelmaß in einer mittelmäßigen Liga.
Bis Jostein Sivertsen seinerzeit diese gewaltige Ansage machte: "Kolstad Handball wird das Ziel erreichen, bis 2024 der beste Handballverein Norwegens zu werden. Sowohl der Verein als auch die Spieler haben den Ehrgeiz, dass Kolstad Handball ein internationales Spitzenteam wird, das sich an der Spitze der Champions League behauptet."
So kündigte Kolstads Manager das neue Großprojekt im internationalen Handball an. Startschuss: Sommer 2022. Ziel: Nicht weniger als der Gewinn der Champions League nach drei Jahren im Sommer 2026. Kurzum: Der kleine Stadtteil im Trondheimer Süden wollte sich zu den Barcelonas, Paris, Veszpréms und Magdeburgs gesellen.
Möglich machte diese Vision eine im Vereinshandball in der Konzentration immer noch außergewöhnliche Finanzspritze. Mit sehr viel Geld aus einem Pool finanzstarker Sponsoren, mittendrin der Lebensmittelkonzern Rema 1000 als Hauptsponsor, sollte das Leuchtturmprojekt möglichst schnell anfangen zu leuchten.
Im Sommer 2022 folgten die ersten Stars wie geplant dem Ruf aus ihrer Heimat, dem Ruf des großen Geldes oder beidem. Torbjörn Bergerud kam von GOG, Magnus Gullerud aus Magdeburg, Janus Smarason von Frisch Auf und Sigvaldi Gudjonsson aus Kielce. Und vergangenen Sommer folgten Magnus Rød aus Flensburg und Sander Sagosen vom THW Kiel.
Damit hatte Trainer Christian Berge, der für dieses Projekt die norwegische Nationalmannschaft abgab, sein Fundament an absoluten Top-Spielern. Die erste Saison verlief entsprechend der großen Namen wie im Bilderbuch. Auf Anhieb feierte Kolstad die erste Meisterschaft der Vereinsgeschichte und holte sich dazu den norwegischen Pokal.
Im Juli 2023 störte dann eine erste Hiobsbotschaft das Handball-Märchen vom Reißbrett: Wie der Verein damals mitteilte, mussten aufgrund der wirtschaftlichen Gesamtlage die Gehälter für Spieler, Trainer und andere Angestellte gekürzt werden. In der aktuellen Saison sollten Sagosen und Co. auf 30 Prozent Gehalt verzichten.
Von kommender Saison an sollen dann noch einmal 20 Prozent weniger bezahlt werden. Spieler und Vereinsführung verhandelten. Smarason suchte das Weite und landete beim SC Magdeburg, der Rest blieb. Vorerst. Die Spieler akzeptierten die empfindlichen Einbußen und dürfen laut Club auf Teilkompensation im Fall sportlicher Erfolge und damit einhergehender Prämien hoffen.
Dem positiven Signal Anfang dieses Monates (Sagosen verlängert bis 2027) folgte vergangene Woche dann ein Paukenschlag: Magnus Rød verlässt Kolstad nach nur einer Saison und spielt ab Sommer für Pick Szeged.
Ein weiterer Paukenschlag könnte am heutigen Donnerstag in der Champions League folgen. Denn sollte Kolstad in Kielce gegen Andi Wolff und Co verlieren, wäre bereits vor dem letzten Gruppenspieltag das Aus in der Königsklasse besiegelt. Die zusammengekaufte Trondheimer Truppe hätte nicht einmal die Playoffs, geschweige denn das Viertelfinale erreicht.
Wäre im Fall eines vorzeitigen Ausscheidens aus der Champions League das Leuchtturmprojekt gescheitert? Nein, nicht zwangsläufig. Es bleibt der Anlauf im nächsten Jahr, sofern die zu erwartende Meisterschaft in der Liga gelingt. Aber erste Risse im nicht mehr ganz so hell strahlenden Leuchtturm wären zumindest nicht mehr wegzudiskutieren. Erst recht, wenn Rød weitere prominente Abgänge folgen sollten.
In Zweite Welle schreibt Bestseller-Autor Daniel Duhr regelmäßig über aktuelle Handballthemen auf und neben der Platte. Und lädt Euch damit zur Diskussion ein. Welchen Standpunkt vertretet Ihr? Wir freuen uns auf Eure Meinungen!
Daniel Duhr ist Autor der Reihe "Handballhölle", die allesamt zu Bestsellern geworden sind. Ebenso wie das kurz vor der EM erschienene Buch "Bock auf Handball", in dem Persönlichkeiten aus dem Handball wie Silvio Heinevetter oder Bob Hanning interessante Geschichten aus dem Handball erzählen und Bennet Wiegert beispielsweise über eine Auswärtstour nach Sibirien berichtet.
Daniel Duhr