18.03.2024, 07:30
Deutsche Handballer trotz Olympia-Qualifikation mit Problemen
Die deutsche Handball-Nationalmannschaft hat die Olympia-Qualifikation auf der Zielgeraden geschafft. Der Jubel war groß, doch das Turnier hat auch gezeigt, dass die Baustellen groß sind. Und das nicht erst seit dem vergangenen Wochenende. Ein Kommentar von Sebastian Mühlenhof.
Am Ende musste die deutsche Mannschaft nochmal mächtig zittern. Zweieinhalb Minuten vor Schluss verkürzte Sebastian Frimmel den Rückstand auf zwei Tore, es hätte also nochmal richtig eng werden können. Doch Lukas Zerbe und Renars Uscins sicherten den letztlich verdienten 34:31-Sieg gegen Österreich ab.
Die Spieler jubelten im Anschluss ausgelassen - zurecht, denn das Minimal-Ziel Olympia-Qualifikation wurde erreicht. Dass die deutsche Mannschaft mit 105 Treffern sogar am häufigsten aller Teams der Gruppe das Gehäuse traf, ist angesichts der Offensivprobleme bei der EM als Fortschritt zu werten. In jeder Partie wurden mindestens 30 Tore erzielt, im Januar war das nur bei weniger als der Hälfte der Auftritte der Fall. Alles gut somit, oder? Mitnichten.
Denn bei allen berechtigten Glückwünschen für die so wichtige Olympia-Qualifikation haben die Tage in Hannover wieder bewiesen, dass das Team derzeit nicht auf dem Niveau ist, um die Medaillenränge anzugreifen. Auch nicht bei Olympia.
Überraschend schwach war diesmal das eigentliche Prunkstück, die Abwehr. Julian Köster, Johannes Golla und Co. agierten über weite Teile zu passiv und hatten besonders auf die Rückraumschützen wenig Zugriff. Knapp die Hälfte der 93 Gegentore fiel von der 9-Meter-Linie oder dahinter, bei der EM waren es nur 27 Prozent gewesen.
Besonders auffällig war in den Duellen mit Österreich und Kroatien, dass die linke Abwehrseite nicht immer auf der Höhe des Geschehens war. Die Passivität bestraften in diesen beiden Begegnungen Ivan Martinovic und Janko Bozovic mit Traumquoten.
In die Kritik muss man diesmal auch Andreas Wolff einbeziehen. Dem Weltklasse-Torhüter rutschten immer wieder Bälle durch, sodass seine sonst so angsteinflößende Präsenz fehlte. Warum David Späth gegen Kroatien trotzdem 60 Minuten auf der Bank schmorrte? Das weiß wohl nur der Bundestrainer - nach seiner Einwechslung im Spiel gegen Österreich zündete der Torhüter sofort.
Und damit geht der Blick auch auf Alfred Gislason. Für den Isländer ging es aufgrund einer entsprechenden Klausel auch um eine Vertragsverlängerung bis 2027 - und diese ist letztlich auch perfekt. Dennoch dürften sich seine Kritiker spätestens seit Hannover bestätigt fühlen.
Im deutschen Spiel fehlten einmal mehr die Überraschungsmomente. Offensiv ruhten die Hoffnungen auf genialen Momenten von Köster oder Uscins. Dass die Mannschaft keine Lösungen gegen die offensive 5:1-Deckung der Kroaten hatte, war bezeichnend.
Selbst defensiv beharrte Gislason auf seiner 6:0-Formation anstatt den Gegner vor neue Herausforderungen zu stellen. Diskutieren lässt sich auch wieder über seine Ansprachen in den Auszeiten und seine Wechselstrategien.
Es wäre allerdings zu einfach, dem Bundestrainer die alleinige Schuld an den aktuellen Problemen zu geben. Die Partien haben einmal mehr gezeigt, dass derzeit kaum ein DHB-Spieler das Prädikat Weltklasse besitzt. Zu schwankend sind die Leistungen über sechzig Minuten.
Besonders auffällig waren die Probleme im Rückraum. Hinter Köster und Uscins mangelt es an Durchschlagskraft. Juri Knorr befindet sich wie seine Rhein-Neckar Löwen in einer Formkrise. Eine Alternative zu ihm auf Rückraum Mitte gibt es weiter nicht.
Marian Michalczik fehlt die Torgefahr, während Nils Lichtlein noch zu unerfahren ist. Mit Blick auf Olympia ist zu hoffen, dass Luca Witzke wieder in Top-Form kommt. Schließlich wird es auch auf den Halbpositionen hinter den Stammkräften dünn.
Daher sind nun vor allem die Vereine und der DHB gefordert. Ins Gebet muss man die Bundesligisten nehmen. Statt auf ausländische Talente zu setzen, sollte der heimische Nachwuchs stärker gefördert werden. Das hat auch der Bundestrainer immer wieder gefordert.
Da müssen sich z.B. die Verantwortlichen in Magdeburg, Flensburg und Kiel sowie Wuppertal und Erlangen die Frage gefallen lassen: Machen wir genug, um aus unseren Talenten Weltklasse-Spieler zu machen? Die aktuelle Antwort: Nein!
Alle Beteiligten sollten an einem Strang ziehen, denn auch das ist unausweichlich, will die DHB-Auswahl wieder in die Weltspitze vorstoßen. Langfristig könnte es dann auch mit einer Olympia-Medaille wieder etwas werden - aber dieses Jahr wohl nicht.
Sebastian Mühlenhof