30.11.2023, 14:04
Sechzehn Jahre Altersunterschied
Sechzehn Jahre Altersunterschied sind im Sport eine Ewigkeit. Wenn die deutschen Frauen-Nationalmannschaft am heutigen Donnerstag in Dänemark in die Handball-Weltmeisterschaft startet, dann ist Antje Döll ist mit 35 Jahren die älteste Spielerin im Kader der DHB-Auswahl. Deutschlands Jüngste, Viola Leuchter, dagegen steht mit 19 Jahren vor ihrer WM-Premiere.
Doch auch wenn sie unterschiedlichen Generationen entstammen, vereint sie ein Ziel: der gemeinsame Erfolg. Sascha Klahn hat Antje Döll und Viola Leuchter vor dem Turnierstart zum exklusiven Doppelinterview getroffen. "Die Olympischen Spiele sind natürlich für jede Spielerin ein riesiger Traum - egal, ob jung oder alt", bekräftigt dabei Viola Leuchter.
Antje und Viola, prallen im Gespräch mit Euch zwei Welten aufeinander?
Viola Leuchter (19):
Welten vielleicht nicht, aber ein paar Tage sind wir schon auseinander ...
Spürt man das?
Antje Döll (35):
Ich persönlich nicht. Aber ich selbst vergesse auch immer, wie alt ich bin. Wir können uns jedenfalls ganz gut unterhalten, sind auf einer Wellenlänge.
Fällt es schwer, Themen abseits des Handballs zu finden?
Viola Leuchter:
Nein. Aber klar, wir befinden uns alle in unterschiedlichen Lebenssituationen. Ich kann mich gut an eine Situation erinnern, als wir beim Mittagessen waren und es reihum ging, um uns gegenseitig upzudaten: Die eine hatte gerade geheiratet, die andere war frisch mit ihrem Partner zusammengezogen, die nächste hatte ihren Master gemacht - und ich dachte mir: `Ah, cool, ich habe jetzt mein Abitur gemacht.` Aber jede von uns war einmal auf der jungen Seite.
Viola, bist Du als Küken denn gut aufgenommen worden?
Viola Leuchter:
Die Mädels haben mich direkt von Beginn an sofort mitgenommen. Jede von ihnen konnte sehr gut nachempfinden, dass man am Anfang vielleicht auch ein bisschen nervös ist. Ich habe mich dadurch sehr schnell hier sehr wohl gefühlt.
Antje Döll:
Sie hat es uns aber auch leicht gemacht. Viola setzt handballerisch bereits sehr viele Sachen schnell um, und das ist natürlich auch immer ein gutes Zeichen für uns: Sie ist konzentriert, fokussiert und sie nutzt ihre Stärken. Und sie ist sich auch für Zusatzaufgaben, wie beispielsweise den Ballsack zu tragen, nicht zu schade. Das kommt immer sehr gut an!
Gibt es bezüglich der Zusatzaufgaben klare Hierarchien?
Antje Döll:
Ja, und ich finde, so sollte es auch sein. Das hat jede von uns schon durchgemacht. Wir sind zwar keine Mannschaft, in der nur die Jüngsten Sachen tragen müssen, aber wir sehen es natürlich gerne, wenn sie sich vorne anstellen.
Welche Privilegien hast Du als Älteste?
Antje Döll:
Ich muss keine schweren Sachen mehr tragen, ich trage maximal die Blackrolls und das war´s (lacht).
Viola Leuchter:
Das ist auch richtig und wichtig so. Im Verein habe ich das schon viel ausgeprägter erlebt. Aber ich habe kein Problem damit, ein bisschen mehr mit anzupacken.
Das heißt, auch im Verein leidest du sozusagen darunter, dass du die Jüngste bist. Hast Du dort nicht automatisch ein besseres Standing, weil Du jetzt Nationalspielerin bist?
Viola Leuchter:
Nein, das geht bei uns schon nach dem Alter. Aber so bleiben wenigstens die Traditionen auch erhalten. Das ist auch ganz schön.
Was ist entscheidet für die Hierarchie in der Nationalmannschaft: Das Alter, die Leistung oder die Dauer der Zugehörigkeit?
Antje Döll:
Ganz so ausgeprägt ist es nicht. Aber das Alter spielt durchaus eine gewisse Rolle. Und natürlich ergreifen, diejenigen, die schon etwas länger dabei sind, auch schneller das Wort oder verteilen die Aufgaben. Einige sind ganz natürlich ein bisschen lauter, andere halten sich dagegen von sich aus zurück. Ich denke, wir leben eine unausgesprochene Hierarchie, die sich von alleine gefunden hat. Das ist einfach ein Selbstläufer gewesen.
Viola Leuchter:
Es wird niemandem der Mund verboten, auch mir nicht.
Aber fiel es Dir trotzdem schwer, am Anfang den Mund aufzumachen und Deine Meinung zu sagen?
Viola Leuchter:
Handballerisch habe ich halt noch nicht die Erfahrung wie die anderen. Und ich will jetzt auch nicht einer Antje sagen, was sie zu tun oder zu lassen hat. Da muss ich erst reinwachsen. Aber natürlich ist es in bestimmten sportlichen Situationen gewollt, dass auch von mir etwas kommt. Und diesbezüglich habe ich echt das Gefühl, dass ich keinen bösen Blick bekomme, wenn ich selbst auch mal ein paar Verbesserungsvorschläge habe. Wir leben einfach eine offene Kultur.
Antje Döll:
Das ist auch wichtig. Wir haben nicht viel Zeit zusammen, und wenn dann ein Spielzug für einen Wurf von Vio ausgelegt ist, dann muss sie auch mitreden. Denn sonst wäre das vergeudete Zeit. Das erwarten wir auch von ihr.
Antje, ist Deine Meinung auch besonders gefragt, weil Du schon so lange dabei bist?
Antje Döll:
Das weiß ich nicht. Aber ich denke, ich habe schon so vieles miterlebt und bringe auch durch die Champions League einiges an Erfahrung mit. Ich habe viele Situationen schon ein paar Mal mehr gesehen oder gespielt als Vio zum Beispiel. Deshalb, finde ich, ist es schon okay, dann auch ein paar Anmerkungen zu machen. Und es geht nicht darum, nur etwas zu sagen, sondern darum, voranzukommen und sich gegenseitig zu unterstützen.
Wie könnt Ihr voneinander profitieren?
Viola Leuchter:
Ich profitiere einfach extrem von ihrer Erfahrung, dass sie mir immer mal wieder einen Tipp mitgibt. Ich hoffe, dass ich dafür ein bisschen frischen Wind reinbringen kann.
Antje Döll:
Ich finde es toll, dass Vio sich so sehr reinarbeitet, unbedingten Willen zeigt. Davor habe ich ganz großen Respekt. Das gibt mir das gute Gefühl, dass wir auch in der Zukunft gute Spielerinnen bekommen werden. Denn ich kenne auch viele junge Spielerinnen, die denken, ihnen kommt alles zugeflogen...
Was zeichnet Viola denn aus?
Antje Döll:
Sie hat das Talent, Dinge einfach schnell umsetzen zu können. Und man spürt bei ihr keinerlei Nervosität. Zudem hat sie einen super starken Wurf. Wenn Vio auf das Tor geht, dann mit 100 Prozent Überzeugung. Das hilft uns auch als Mannschaft sehr.
War es früher anders, als Du Deine ersten Länderspiele machtest?
Antje Döll:
Damals war ich deutlich schüchterner und sehr nervös. Ich habe mir wirklich nur die sicheren Bälle genommen.
Zuletzt ist diese Mannschaft oft am selbst gesteckten Ziel `Halbfinale` gescheitert. Kann man diese Ergebnisse mit den jungen Spielerinnen hinter sich lassen und nun neu und unbefangen angreifen?
Viola Leuchter:
Ja, das denke ich. Ich habe die Vergangenheit dieser Mannschaft ehrlich gesagt gar nicht so im Kopf, schließlich war ich nicht selbst daran beteiligt. Ich kann nur sagen, dass die komplette Mannschaft extrem dafür brennt, so weit wie möglich zu kommen. Und dafür werden auch wir jungen Spielerinnen alles geben.
Wie schätzt Ihr die aktuelle Mannschaft ein?
Antje Döll:
Sehr stark, wir haben eine super Mannschaft. Wir haben eine starke erste Reihe und dahinter auch noch eine starke zweite Reihe, so dass wir gut und situationsabhängig wechseln können. Ich finde, wir sind individuell stärker aufgestellt als noch zuvor. Und mit Vio haben wir jetzt auch eine absolute Shooterin für die andere Rückraum-Seite dazubekommen, sodass nicht nur eine Emily Bölk aus dem Rückraum werfen muss. Deshalb bin ich voller Vorfreude und absolut positiv für die WM gestimmt.
Was hat der neue Bundestrainer Markus Gaugisch mit dieser Mannschaft gemacht?
Antje Döll:
Markus brennt für diese Mannschaft, der will den Erfolg, der glaubt an uns. Und das ist nicht nur dieses `Ich glaube an Euch`, sondern wirklich in allem, was er tut, vermittelt er das auch. Nicht nur bei den Lehrgängen oder Turnieren, Markus hält immer Kontakt, gibt dir Feedback zu deinen Vereinsspielen.
Er steht dir auch zur Seite, wenn du was extra brauchst. Der ist sich auch für keine Reise, für keinen Weg zu schade. Das finde ich sehr bemerkenswert. Und Markus ist natürlich taktisch sehr versiert, analysiert jeden Gegner akribisch, weiß um seine Stärken und hat dann immer auch Ideen mit Plan A, B, C. Das finde ich sehr cool. Und wir haben clevere Spielerinnen dabei, die das dann auch umsetzen können.
Und er lässt Euch auch viel Freiraum, oder?
Antje Döll:
Ja. Wir stehen mit in der Verantwortung, sagen, womit wir uns wohlfühlen. Das gibt uns natürlich auch das Gefühl, wir sind eigenständig. Wir können auch mal aus dem Muster rausspringen. Aber wir haben immer einen Matchplan, an dem wir uns orientieren können.
Viola Leuchter:
Er ist nicht so fixiert auf seine Idee, sondern versucht, sie auf uns anzupassen. Wir sind es am Ende ja, die es auch spielen müssen.
Empfindest Du Druck, wenn Antje sagt, Du bist die Shooterin auf der anderen Seite, Du musst für die Tore sorgen?
Viola Leuchter:
Nein, denn das zeichnet mich aus. Ich werfe einfach viel von hinten, weil ich ja die körperlichen Voraussetzungen dafür habe. Und Shooterin zu sein, heißt ja nicht, dass deshalb extrem viel Last auf meinen Schultern liegt, sondern einfach, dass ich eine Option bin, um der Mannschaft zu helfen. Ich glaube, wir sind dadurch halt einfach viel bunter und auch ein bisschen unvorhersehbarer für jeden Gegner geworden.
Wie schätzt Du diese Mannschaft ein?
Viola Leuchter:
Wir sind eine sehr bunte Mannschaft, die extrem dafür brennt, etwas zu erreichen. Wir haben auch immer viel Spaß bei allem, was wir machen. Das sind schon mal gute Voraussetzungen, um tatsächlich was erreichen zu können.
Wie äußerst sich dieser Spaß?
Viola Leuchter:
Dass man nicht immer alles zu ernst nimmt, dass man sich selbst nicht zu ernst nimmt. Das kann im Training sein. Aber auch sonst, wenn man beispielsweise auf dem Flur gemeinsam irgendein Gesellschaftsspiel spielt.
Was schätzt Du an Antje?
Viola Leuchter:
Zum Beispiel, dass sie mit mir von Beginn an auf Augenhöhe kommuniziert. Ich musste mich hier nicht erst beweisen, sondern bin von Anfang an mitgenommen, nicht unter Druck gesetzt worden. Ich bin mit offenen Armen aufgenommen und nicht als Störfaktor betrachtet worden, weil da irgendeine Neue dazukam, die vielleicht anders ist.
Welche Ziele einen Euch?
Viola Leuchter:
Bei dieser WM so abzuschneiden, dass wir mit unserer Platzierung eines der Qualifikationsturniere für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr erreichen.
Antje Döll:
Mindestens.
Ist das ein realistisches Ziel?
Antje Döll:
Durchaus. Das glaube ich wirklich. Ich finde, wir müssen uns auch nicht kleiner reden, als wir sind. Der Erfolg ist natürlich davon abhängig, dass wir auch zum richtigen Zeitpunkt unsere Topleistungen abrufen können. Wenn das gelingt, dann ist da wirklich einiges möglich. Wir sind fit, wir sind gut drauf. Wir sind absolut in der Lage, jeden Gegner zu schlagen oder ein Spiel eng zu gestalten.
Wie sehr schwebt der Traum Olympia über allem und macht Dir vielleicht auch zusätzlichen Druck, weil es Deine letzte Chance sein könnte, Antje?
Antje Döll:
Ich möchte es gar nicht als Druck bezeichnen. Ich hatte mal eine Phase, in der ich mir selbst Druck gemacht habe. Aber ich habe inzwischen gelernt, dass ich meine besten Leistungen nur dann abrufe, wenn ich locker ins Spiel gehe.
Aber natürlich, Olympia ist ein absoluter Traum und ich werde heulen, wenn wir es erreichen. Aber ich werde genauso heulen, wenn wir es nicht schaffen. Die Olympischen Spiele bedeuten mir sehr, sehr viel. Druck ist immer so ein bisschen negativ behaftet. Dieses Gefühl möchte ich gar nicht erst aufkommen lassen.
Viele Turniere gibst Du Dir noch?
Antje Döll:
Ich fühle mich aktuell wirklich gut. Ich stehe morgens ohne Schmerzen auf. Mir macht das Handballspielen tatsächlich immer noch wahnsinnig viel Spaß, ich gehe nach wie vor gerne ins Training. Deshalb lasse ich diese Frage so offen - es wird sich zeigen. Aber ich will auf jeden Fall selbst über das Ende meiner Handballkarriere entscheiden. Momentan denke ich, ich bleibe dem Handball aktiv noch etwas erhalten.
Welche Kniffe gibt es, um locker in ein Turnier zu gehen?
Antje Döll:
Ich suche mir schon vorab irgendein Lied raus, das mir gute Laune macht. Dann mache ich auch gerne mal ein Späßchen in der Kabine. Beim Aufwärmen die Mädels ein bisschen anfeuern, loben. Mir bringt es viel, wenn ich auch ein bisschen lachen kann währenddessen.
Ich brauche nicht dieses vollkommen fokussiert sein und alles andere ausblenden, ich will stattdessen die Atmosphäre aufsaugen und mir wirklich auch bewusst machen, dass das das Geilste ist, was ich hier machen kann. Dass es mein Job ist, Handball spielen zu dürfen.
Mit diesen Mädels meine Zeit zu verbringen, die ich alle wirklich gerne habe, ist ein absolutes Privileg. Dieses Bewusstsein hilft mir sehr. Und im Spiel ist es immer gut, wenn man mit einer geilen Abwehraktion reinkommt. Das gibt mir manchmal mehr Selbstvertrauen als ein Kontertor.
Welches Lied macht gerade gute Laune?
Antje Döll:
Mallorca-Lieder machen immer gute Laune (lacht). Gerade bin ich auf einem Captain-Jack-Tripp mit "Drill Instructor". Das ist mein aktueller Ohrwurm. Aber es variiert.
Kennst Du diese Lieder auch noch, Viola?
Viola Leuchter:
Ja, die kenne ich noch. Mallorca-Lieder werden wohl niemals von der Playlist verschwinden, egal in welcher Generation.
Was ergänzt Du in dieser Playlist?
Viola Leuchter:
Ich glaube, ich bin, was den Musikgeschmack angeht, tatsächlich mindestens so alt wie Antje. Denn ich bin ein großer Queen-Fan, die höre ich auch sehr gerne vor dem Spiel, diese Musik motiviert mich sehr.
Mit welchen Erwartungen startest Du in dieses Turnier?
Viola Leuchter:
Die Olympischen Spiele sind natürlich für jede Spielerin ein riesiger Traum - egal, ob jung oder alt. Bei diesem Turnier geht es einfach darum, dass wir diesem Traum näher kommen. Wir haben es selbst in der Hand. Ich möchte es genießen, dass ich dabei sein darf. Ich will die Atmosphäre aufsaugen, einfach Spaß haben und alles für unseren Erfolg geben.
Wann seid Ihr zufrieden?
Antje Döll:
Man kann mit einem Platz fünf oder sechs auch zufrieden sein, wenn man im Viertelfinale einen wirklich starken Gegner hatte. Wenn im Platzierungsspiel andere an diesem Tag einfach wirklich besser waren. In einem Turnierverlauf kann immer vieles passieren.
Viola Leuchter:
Ich glaube, zufrieden oder unzufrieden kann man erst sein, wenn es vorbei ist und man das Turnier rekapitulieren kann.
Antje Döll:
Auf jeden Fall müssen wir am Ende sagen können, wir haben wirklich alles aus uns herausgeholt, was ging. Und wenn es nicht besser ging in dem Turnier, dann muss man das schweren Herzens akzeptieren. Aber nach Hause zu fahren und zu sagen, wir haben drei Spiel nacheinander dieselben Fehler wie immer gemacht, das wäre sehr ärgerlich.
Viola, wirst Du dann am Ende auch mal so lange durchhalten wie Antje?
Viola Leuchter:
Das ist das Ziel.
Antje Döll:
Ich drück Dir die Daumen.
Viola Leuchter:
Vor allem, wenn man bedenkt, wie lange Du noch durchhalten wirst, Antje. Dieser Zeitraum ist ja noch gar nicht endgültig definiert.
Interview: Sascha Klahn