25.01.2025, 11:55
Ein Überblick für (angehende) Taktikfüchse
Die Abwehr spielt im Handballsport eine essenzielle Rolle - und es gibt zahllose Möglichkeiten für eine effektive Verteidigung. Dennoch gibt es in allen Leistungsklassen einen klaren Favoriten.
Handball ist ein Fehlersport, die Mannschaft, die weniger macht, gewinnt auch das Spiel. Die Erwartungshaltung bei eigenem Ballbesitz ist dabei, dass es zum Torerfolg kommt - und die Deckung probiert, diesen zu verhindern. Man könnte also quasi festhalten, dass die Deckung am Ende der alles entscheidende Faktor bei der Frage nach Sieg oder Niederlage ist - wer provoziert den Gegner zu mehr Fehlern?
Es gibt unendlich viele Interpretationen und Möglichkeiten, eine effektive Deckung zu stellen. Grundlegend sortiert man alle Formationen danach, wie viele Spieler am Kreis, und wie viele offensiv verteidigen. Im Erwachsenenbereich stehen nahezu immer alle Spieler am Kreis. Also 6:0. Decken drei Spieler am Kreis und drei offensiv, dann ist es eine 3:3. Prinzip verstanden? Dann los!
Abkürzung | Bedeutung | Gehört zum/zur |
---|---|---|
LA | Linksaußen | Angriff |
RL | Rückraum Links | Angriff |
RM | Rückraum Mitte | Angriff |
RR | Rückraum Rechts | Angriff |
RA | Rechtsaußen | Angriff |
KM | Kreis Mitte | Angriff |
AR | Außen Rechts | Abwehr |
HR | Halb Rechts | Abwehr |
HM | Hinten Mitte | Abwehr |
HL | Halb Links | Abwehr |
AL | Außen Links | Abwehr |
VM | Vorne Mitte | Abwehr |
VL | Vorne Links | Abwehr |
VR | Vorne Rechts | Abwehr |
Aufstellung: AR - HR - HM - HM - HL - AL
Die 6:0-Formation ist wie bereits erwähnt das Go-To fast aller Teams, egal ob Königs- oder Kreisklasse. Durch die Positionierung aller Spieler am Kreis gibt es nahezu keine Tiefenräume (also Räume zwischen Kreis und Abwehrspieler), die der Angriff bespielen kann. Zudem stehen alle Verteidiger nah beinander, die Wege zum Helfen sind also kurz - es ist also viel einfacher, ein verlorenes Eins-gegen-Eins-Duell auszugleichen.
Natürlich stehen aber nicht alle Spieler durchgehend auf sechs Metern. Attackiert ein Offensivspieler die Formation, wird dieser meist trotzdem auf spätestens acht Metern angegriffen. Andernfalls wäre ein Wurf kaum zu verteidigen, da der Angreifer dann zu viel Platz hat. Ist der Spieler besonders wurfstark, verteidigt die Deckung ihn früher - hat er hingegen wenig Shooterqualitäten und kommt eher über sein Eins-gegen-Eins, wird er erst defensiver angenommen.
Damit kommen wir auch zur größten Schwierigkeit der 6:0-Formation. Es gibt keine Rollen, die ausschließlich offensiv oder defensiv sind. Die Abwehrspieler müssen also in jeder Situation abstimmen, wer heraustritt und wer defensiv bleibt - etwa um den Kreisläufer zu verteidigen. Funktioniert die Kommunikation nicht, ist auch die 6:0 anfällig für Gegentreffer.
Aufstellung: AR - HR - HM - HL - AL / VM
Bei der 5:1-Formation deckt ein Spieler vorgezogen vor der restlichen Deckungsreihe. Meist steht dieser Verteidiger mittig, es gibt aber auch Fälle, wo er auf einen Halbspieler heraustritt. Der vorgezogene Abwehrspieler soll so den Aufbau des gegnerischen Rückraums stören und den Mittespieler des Gegners zurückdrängen. Zudem ermöglicht die offensivere Position ein effektiveres Umschaltspiel nach Ballwechsel.
Die 5:1 erfreut sich ebenfalls großer Beliebtheit und gehört zum Grundrepertoire vieler Mannschaften. Etwa Flensburg oder Kiel stellen oft auf einen vorgezogenen Verteidiger um, zum Beispiel Lukas Jörgensen und Domagoj Duvnjak können diese Rolle ausfüllen. Die Anforderungen an den Vorne Mitte sind dabei sehr groß, er muss schnell sein und zusätzliches ein starkes Eins-gegen-Eins haben.
Das liegt daran, dass hinter ihm Tiefenräume entstehen. Ist der vorgezogene Verteidiger einmal überspielt, bietet sich der angreifenden Mannschaft meist eine Überzahlsituation - und damit eine nahezu sichere Torchance. Deshalb zieht sich der Vorne Mitte auch meist zurück, wenn die Angreifer auf zwei Kreisläufer umstellen oder ein Halbspieler den vorgezogenen Verteidiger hinterläuft. Ein weiterer Nachteil ist, dass die Verteidiger weiter auseinander stehen und so mehr Raum verteidigen müssen - die Wege zum Helfen werden also länger.
Aufstellung: AR - HM - AL / HR - HL / VM
Bei der 3:2:1-Formation gibt es ebenfalls einen vorgezogenen Deckungsspieler, zudem treten auch die Halbverteidiger offensiv heraus. Die Übergänge zu einer offensiv interpretierten 5:1-Formation sind hierbei fließend. Meist rückt der ballferne Halbverteidiger auch in den Verbund ein und geht erst wieder heraus, wenn der Ball auf seine Seite kommt.
Das macht die 3:2:1 natürlich wesentlich intensiver als andere Formationen. Auch der Hinten Mitte muss gegen den Kreisläufer viel größere Räume verteidigen. Im Profihandball ist die 3:2:1 auch deshalb immer seltener geworden, nur wenige Teams spielen sie noch. Beispiele sind Italien bei dieser Handball-WM und der Zweitligist TV Hüttenberg.
Ein weiteres Problem der 3:2:1 ist die große Gefahr, die entsteht, wenn ein offensiver Verteidiger - also HL, HR oder VM - sein Eins-gegen-Eins gegen einen Angreifer verliert. Da die Tiefenräume und die Abstände sehr groß sind, ist es für die verteidigende Mannschaft dann nämlich besonders schwer, noch zu helfen und die Unterzahl auszugleichen.
Aufstellung: AR - HM - HM - AL / VR - VL
Die 4:2-Formation kommt ebenfalls nur selten zum Einsatz. Eine besonders erfolgreiche Interpretation spielt die niederländische Frauen-Nationalmannschaft. Grundsätzlich stehen bei der 4:2 die beiden Halbverteidiger wesentlich offensiver, aber genauso wie bei der 5:1 kann das System natürlich asymmetrisch gespielt werden, um etwa die Mitte und einen Halbspieler anzugreifen.
Das System dient meist aber dazu, starke Halbspieler vom Spiel zu isolieren und ihnen früh Kontakt zu geben, um ihre Wurf- und Eins-gegen-Eins-Qualitäten zu kontern. Auch hier braucht es also starke vorgezogene Halbverteidiger - andernfalls hätten ausgerechnet die starken Halben bei gewonnen Duellen viel Raum.
Besonders effektiv ist die 4:2, wenn die angreifende Mannschaft eine schwache Rückraum Mitte hat, die selbst wenig Torgefahr ausstrahlt und sich schwertut, ihre Mitspieler einzusetzen. So können die offensiven Halbverteidiger auch Steals provozieren, indem sie auf schwache Pässe von Mitte auf Halb lauern. Im Gegenzug gilt aber auch: Ist die gegnerische Mitte sehr stark, will man ein Zwei-gegen-Zwei mit dem Kreisläufer gegen die beiden Hinte Mitte unbedingt vermeiden - die 4:2 bietet sich dann also nicht an.
Aufstellung: AR - HM - AL / VR - VM - VL
Noch seltener wird eine 3:3 gedeckt. Hier werden alle Rückraumspieler offensiv verteidigt, die Tiefenräume sind also nochmal größer. Der gegnerische Kreisläufer hat somit sehr viel Platz am Kreis, auch die Außen können sehr effektiv einlaufen.
Eine 3:3 kann nur funktionieren, wenn die verteidigende Mannschaft schneller und wacher ist als die angreifende Mannschaft. Sie bietet sich etwa für kleingewachsene Teams an, die so besonders große Gegenspieler früh stören und verteidigen können. Hier führt ein verlorenes Eins-gegen-Eins mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer Torchance.
Auf der anderen Seite ist es in der 3:3 natürlich viel einfacher, ein effektives Konterspiel zu fahren, da drei Spieler bereits in der Nähe der Mittellinie lauern. Das begünstigt neben der schnellen Mitte bei einem Gegentor auch das Umschalten in erste, zweite und dritte Welle (was das ist, erklären wir unten).
Damit kommen wir zu den unkonventionellen Deckungsformationen. Die 5:0+1 kann hierbei auch problemlos als 4:0+2 gespielt werden, kommt im Profihandball aber nahezu nie vor. Bei den Plus-Deckungen spielt ein Verteidiger eine komplette Manndeckung gegen einen besonders starken Gegenspieler, um diesen komplett aus dem Spiel zu nehmen (bei 4:0+2 werden dann zwei Spieler kurz genommen).
Das vergrößert natürlich die Räume für alle anderen Spieler, und weil im Profihandball eben alle Akteure wirklich gut sind, ergibt die 5:0+1 hier wenig Sinn. In den unteren Ligen kann eine Manndeckung aber den Spielverlauf komplett auf den Kopf stellen, aber auch hier braucht es einen besonders schnellen, reaktionsstarken und wachen Abwehrspieler - ist der Verteidiger nämlich einmal überlaufen, ist ausgerechnet der beste Gegner frei.
In den letzten Minuten ist eine offene Manndeckung oft die einzige Option, um eine knappe Partie noch herumzureißen. Hier hat jeder Verteidiger einen festen Gegenspieler und deckt diesen Mann. Wichtig ist es hierbei, dass die Verteidigung nie das Ziel hat, den ballführenden Spieler zuzumachen - bei Freiwürfen muss nämlich Abstand eingehalten werden.
Als letztes Register will die abwehrende Mannschaft mit der offenen Manndeckung schnelle Ballgewinne provozieren und durch das eigene Umschaltspiel zu einfachen Toren kommen. Dass das funktionieren kann, bewies das DHB-Team bei Olympia gegen Frankreich. Ist die abwehrende Mannschaft in Überzahl, dann positioniert sich ein Verteidiger meist defensiv am Kreis, als Libero.
Ist die verteidigende Mannschaft in Unterzahl, wird in besonders knappen Schlussphasen hingegen oft ein Gegenspieler freigelassen. Die Wahl liegt dabei meist beim Torwart - der ungedeckte Akteur soll so zum Wurf gezwungen werden, um schnell in Ballbesitz zu kommen. Natürlich braucht es dafür unbedingt eine Parade.
Im Normalfall kehrt die abwehrende Mannschaft in Unterzahlsituationen in die 5:0 zurück. Auch hier wählt der Torwart dann oft einen Außen, den die Verteidigung etwas zurückhaltender verteidigt. So soll das angreifende Team dazu gezwungen werden, auf einen weniger wurfstarken Spieler abzuräumen.
Generell ist der Torwart ein oft übersehender Schlüsselakteur für die Deckung. Er fungiert nicht nur als letzte Bastion gegen den Angriff, sondern ist auch zentraler Kommunikator - weil er als einziger das ganze Feld überblicken kann.
Bei Rückraumwürfen arbeitet der Torhüter ebenfalls mit seinen Vorderleuten zusammen. Die Abwehrspieler versuchen nämlich, bei gegnerischen Würfen nur eine Seite des Tores abzudecken. Die andere Ecke nimmt dann der Torwart. Meistens blocken die Abwehrspieler gegen die Wurfarmseite, die andere Seite wird zur Torwartecke. So deckt die Abwehr meist die lange Ecke ab, die Schlussmänner die kurze.
Ein paar Mal wurde in diesem Artikel der Vorteil offensiverer Systeme herausgestellt, wenn es um Umschaltspiel geht. Hierbei gibt es verschiedene Fachbegriffe. Die schnelle Mitte bezeichnet einen temporeichen Gegenangriff nach einem Gegentor. Der Torwart passt den Ball dabei zum in den Mittelkreis geeilten Kreisläufer, welcher den Anwurf ausführt, die Rückraumspieler rücken nach. Im Profihandball spielen fast alle Teams die schnelle Mitte.
Dann gibt es noch die drei Wellen, die nach einem Ballgewinn zum Tragen kommen. Die erste Welle meint einen direkten Tempogegenstoß, meist über die Außen, die einen freien Wurf zur Folge haben. Bei der zweiten Welle attackieren die umschaltenden Spieler das noch brüchige Deckungssystem und erzeugen meist über die nachrückenden Halben eine klare Torchance. Bei der dritten Welle formiert sich die Abwehr zwar gerade, steht aber noch nicht komplett. Kommt es in keiner Welle zum Torerfolg, muss die atackierende Mannschaft in den Positionsangriff.
Manche Mannschaften vertrauen in der Abwehr auf einen Spezialistenwechsel. Hier kommt extra für die Deckung ein besonders defensivstarker Verteidiger für einen meist defensivschwachen Angreifer auf das Feld. Dadurch kann der Offensivspieler auch geschont werden - ohnehin ist er oft kaum eine Hilfe in der Abwehr.
Manche Teams parken diesen Spielertyp in der Deckung auch auf der Außenposition, wo er weniger im Verbund arbeiten muss. An sich stabilisiert ein Abwehr/Angriff-Wechsel natürlich die eigene Deckung, auf der anderen Seite hat er im Umschaltspiel nach vorne wie hinten offensichtliche Nachteile.
mao