01.02.2024, 12:00
#Regelecke
Ob Übertritt oder Abwehr durch den Kreis: Der Torraum ist die verbotene Zone für alle Feldspieler. Nur der Torwart darf sich regulär in dem Halbkreis aufhalten, der sich mit einem Radius von sechs Metern jeweils vor den beiden Toren eines Handballfeldes erstreckt. Für den "Tag des Schiedsrichters" erläutert Kay Holm, Leiter Lehre im Schiedsrichterwesen des Deutschen Handballbundes, die regeltechnischen Feinheiten rund um den Torraum.
Es ist eine der ersten Regeln, die jeder Nachwuchshandballer lernt: Der Sechs-Meter-Kreis - wie der Torraum oft umgangssprachlich genannt wird - darf nicht betreten werden. Nicht einmal die Linie darf berührt werden, "sonst zählt dein Tor nicht", wie es im Kindertraining immer wieder heißt. Denn gemäß Regelwerk zählen die Linien zu dem Bereich, den sie begrenzen.
Unnützes Wissen:
Die Torraumlinie ist fünf Zentimeter breit - ebenso wie alle anderen Linien auf dem Spielfeld. Die Ausnahme: Die Torlinie ist acht Zentimeter breit.
"Da der Torraum jedoch nicht mit Stacheldraht begrenzt ist, kann man den Torraum in der Dynamik des Spiels relativ leicht betreten - ob absichtlich oder unabsichtlich", hält Holm fest. Das Regelwerk unterscheidet dabei nicht zwischen Angreifer und Abwehrspieler; lediglich die Spielfortsetzung (Abwurf, Freiwurf, Siebenmeter) variiert.
Entscheidend für die Beurteilung, ob das Betreten des Torraums abgepfiffen werden muss: Verschafft sich der Feldspieler - egal, ob Angreifer oder Abwehrspieler - dadurch einen Vorteil? "Dass der Abwehrspieler auf Halblinks mit der Hacke auf dem Kreis steht, während der Wurf von Rechtsaußen kommt, verschafft der Abwehr keinen Vorteil", wählt Holm zur Verdeutlichung ein klares Beispiel. "In der Regel steht drin, dass es sich um ein deutliches Betreten des Torraums handeln muss."
Die Beurteilung ist jedoch gerade bei der Verhinderung einer klaren Torgelegenheit eine diffizile Angelegenheit, denn "die Wahrnehmung der Schiedsrichter spielt eine ganz entscheidende Rolle", wie Holm ausführt. "Bei der Frage, ob es einen Siebenmeter gibt, wenn die Abwehr im Raum steht, ist der Beginn der Aktion ausschlaggebend." Beginnt ein Zweikampf nämlich bereits vor dem Torraum, darf es keinen Strafwurf geben - auch, wenn am Ende sowohl Abwehrspieler als auch Angreifer im Kreis stehen.
"Die Schiedsrichter müssen erkennen, ob der Abwehrspieler den Torraum betreten hat, um die klare Torgelegenheit zu verhindern oder ob lediglich eine Situation, die auf sieben oder acht Metern entstanden ist, aufgrund der Dynamik im Torraum endet", erläutert Holm. "Dass am Ende alle im Torraum liegen, genügt nicht. Es muss immer die Entstehung der Situation in Betracht gezogen werden."
Deshalb sei es so wichtig, dass man als Schiedsrichter ein gewisses Spielverständnis haben, statt nur das Regelwerk auswendig gelernt zu haben. "Du musst als Schiedsrichter antizipieren und die Entwicklung einer Spielszene vorausahnen können", sagt Holm. Auch das periphere Sehen spiele dabei eine wichtige Rolle. "Die Entscheidung selbst beruht natürlich immer auf einer konkreten Wahrnehmung, aber wenn ich bereits in Betracht gezogen habe, was passieren könnte, fällt die Entscheidung viel leichter."
Die Frage, ob sich der Spieler durch das Betreten einen Vorteil verschafft, ist auch beim Kreisläufer oder dem Einläufer von der Außenposition der entscheidende Punkt. "Steht der Abwehrspieler dicht an der Sechs-Meter-Linie und der Kreisläufer betritt den Torraum, um ihn zu hinterlaufen und sich dadurch eine bessere Spielposition zu erarbeiten - für ein Anspiel oder eine Sperre - ist das abzupfeifen", nennt Holm ein Beispiel.
Doch auch für die Aktionen der Angreifer gelte die Frage: Verschafft sich ein Spieler dadurch einen Vorteil? Holm: "Wenn ein Außenspieler kurz anläuft, dann aber abbricht und sich auf seine Position zurückzieht und dabei den Torraum betritt, dann würde ich das niemals abpfeifen, weil es für die Spielhandlung unerheblich ist. Es sei denn er bindet dadurch für die Spielhandlung wichtige Gegenspieler."
Der einzige Spieler, der den Torraum regelgerecht betreten darf, ist der Torwart. In Regel 5 (siehe unten) ist genau definiert, was der Torwart in Bezug auf den Torraum darf oder nicht darf. Ein Beispiel: Hat der Torwart den Ball im Torraum unter Kontrolle gebracht und rutscht anschließend aufgrund der Dynamik über die Torraumlinie, dann ist auf Abwurf mit Anpfiff zu entscheiden.
Unnützes Wissen:
Der Abwurf ist der einzige formelle Wurf, mit dem kein Eigentor erzielt werden kann. Denn ein Abwurf gilt erst als korrekt ausgeführt, wenn der Ball die Torraumlinie überquert hat.
Diskussionspotenzial rund um Torraum-Entscheidungen gibt es vor allem, wenn mindestens ein Angreifer und ein Abwehrspieler beteiligt sind - und verschiedene Regelwidrigkeiten in einer Aktion auftauchen. "Wenn ein Angreifer übertritt und ihm dabei in den Wurfarm gegriffen wird, wird oft nach einem Siebenmeter verlangt", berichtet Holm. Das sei jedoch falsch: "Der Übertritt zählt als erste Regelwidrigkeit, daher gibt es einen Abwurf."
Das Foul könne dennoch progressiv bestraft werden. "Das ist natürlich als Schiedsrichter schwierig zu verkaufen", weiß auch Holm. "Daher ist in solchen Situationen die Körpersprache ganz wichtig." Wenn ein Außenspieler einspringt, übertritt, aber dennoch hinausstellungswürdig gefoult werde, sei der Ablauf wie folgt:
"Ich zeige erst ganz deutlich den Abwurf an, gebe sofort das Time Out, um dann die Zeitstrafe auszusprechen", erläutert Holm. "Außerdem empfiehlt es sich, die Kommunikation mit der Bank zu suchen und dort kurz zu erklären: Die Regelwidrigkeit des Angreifers war zuerst - und ein Angreifer darf nicht durch eine Regelwidrigkeit einen Vorteil erlangen."
Der gleiche Grundsatz gilt übrigens beim Sichern von Abprallern: "Einen Abpraller kann nur ein Spieler aufnehmen, der von Anfang an außerhalb des Torraums steht", sagt Holm. "Wenn der Werfer hingegen im Torraum gelandet ist, diesen schnell verlässt und den eigenen Abpraller aufnimmt, ist das abzupfeifen. Sonst hätte er ja immer einen Vorteil, weil er durch den Kreis den dichtesten Weg zum Ball hat."
jun