12.02.2024, 18:00
Aus der Schulturnhalle in die Lanxess-Arena
Marcus Hurst und Mirko Krag gehören zu den etablierten Gespannen im Elitekader des Deutschen Handballbundes. Im Frühjahr folgte die bisherige Krönung ihrer Laufbahn: Die beiden gebürtigen Hessen wurden - genau 20 Jahre nach ihrer gemeinsamen Schiedsrichter-Ausbildung - für das REWE Final Four um den DHB-Pokal der Männer nominiert. Für den "Tag des Schiedsrichters" zeichneten Hurst und Krag im vergangenen Herbst ihren Weg nach, der sie aus den Schulturnhallen des Handball-Bezirks Frankfurt bis in die Lanxess-Arena nach Köln führte.
Obwohl unsere Schiedsrichterlaufbahn mit dem gleichen Ausbildungslehrgang gestartet ist - wir hockten mit 16 Jahren in einem Vereinsheim in Bad Homburg -, begann unsere gemeinsame Laufbahn erst fünf Jahre später. Denn als wir unseren Schein in der Tasche hatten und die damals obligatorische Zeit als Einzelschiedsrichter abgeleistet hatten, schloss sich jeder von uns zunächst mit einem Vereinskollegen zusammen.
Marcus spielte damals für die TSG Oberursel, Mirko für den TuS Nieder-Eschbach. Da wir (fast) der gleiche Jahrgang sind, haben wir auch immer wieder gegeneinander gespielt - und in der Bezirksauswahl zusammen. Wir kannten uns also schon, bevor wir als Team unterwegs waren - so, wie man sich im Handball eben kennt, wenn man sich in den gleichen Hallen herumtreibt.
Wir sind mit unseren damaligen Teampartnern jeweils nach und nach aufgestiegen - aus dem Bezirk in den Landesverband. Der Unterschied: Mirko wurde mit seinem Teampartner für den Förderkader des Südwestdeutschen Handball-Verbands (SWHV) nominiert - Marcus hingegen nicht, weil sein damaliger Kollege die Altersgrenze schon überschritten hatte.
Mit einem Jahr Abstand kam es jedoch mit unseren alten Teamkollegen zum Bruch. Mirko wurde von seinem Partner kurz vor dem Saisonstart, die ersten Ansetzungen in der Regionalliga in der Tasche, sitzengelassen, woraufhin er eine Saison nicht gepfiffen hat. Und Marcus pfiff die Saison zwar noch Oberliga, aber dann zog sich sein Kollege zurück. Er war wie gesagt ein bisschen älter als wir und das Thema Familiengründung war nicht mit dem Zeitaufwand in der Oberliga aktuell. Im Bezirk hätte er mit Marcus weitergemacht, aber er wollte auch dessen Ambitionen nicht im Weg stehen.
So haben wir schließlich zueinander gefunden. Wir waren ungefähr gleich alt, hatten ein ähnliches Erfahrungslevel und vor allem: Wir hatten beide Lust aufs Pfeifen und wollten gucken, was für uns drin ist. Wer auf den Gedanken gekommen ist, den anderen anzurufen, wissen wir nicht mehr, aber im Nachhinein müssen wir festhalten, dass es sich als glückliche Fügung erwiesen hat.
Seit dem Sommer 2008 sind wir gemeinsam unterwegs. Wir sind in der Oberliga gestartet und dann direkt im ersten Jahr in den besagten Förderkader des SWHV aufgestiegen. Die Saison 2009/10 war zugleich die letzte Saison im Regionalverband, danach gingen die Regionalligen in der 3. Liga auf - und wir qualifizierten uns auf Anhieb für den Nachwuchskader.
Ohne auch nur einen Einsatz in der Regionalliga Männer im Rücken (dass wir so eine Ansetzung in der Vorsaison nie bekommen hatten, war natürlich keine optimale Vorbereitung) ging es für uns in die 3. Liga. Körperlich war das eine ganz andere Nummer. Nach unserem ersten Einsatz bei den Männern im Herbst 2010 im Hexenkessel der SG Köndrigen/Teningen saßen wir nur fix und fertig in der Kabine. Wir haben uns gefragt, ob wir in dieser Liga richtig sind - und wurden dann auch noch direkt vom damaligen Coach abgewatscht.
Im Laufe der Saison haben wir jedoch immer besser Fuß gefasst und sind am Ende als Erster des Nachwuchskaders in den Standardkader aufgestiegen. Diese Geschichte wiederholte sich in den folgenden Jahren: Nach einem Jahr im Standardkader ging es in den Bundesliga-Anschlusskader (das einzige Jahr, wo es aufgrund der neuen Eingleisigkeit der 2. Bundesliga einen solchen Kader gab) - und auch nach dieser Saison standen wir oben, obwohl wir im Herbst bei unserem zweiten Männerspiel richtig auf die Schnauze gefallen waren, wie man auf gut deutsch sagt. Das war schlimm, es hat wirklich nichts funktioniert!
Dass wir es geschafft haben, in der Hinrunde schnell zu lernen und uns nach einem Rückschlag immer auf die Anforderungen der neuen Spielklasse einzustellen, ist sicherlich ein Grund für unseren Erfolg. Denn nach einer Saison im Bundesligakader und dem Debüt in der 1. Frauen-Bundesliga in Trier ging es im Sommer 2014 direkt weiter in den Elite-Anschlusskader. Jedes Jahr ein Aufstieg: Das war bis zu diesem Punkt der Rhythmus. Da wir durch jede Liga gegangen sind und uns in jedem Kader beweisen mussten, haben wir über die Jahre eine gewisse Härte erlangt.
Das war jetzt umso wichtiger, denn das erste Jahr im Elite-Anschlusskader war echt heftig. Wir waren sechs Teams und es war ein echtes Haifischbecken. Wir sind uns nicht mehr sicher, aber es kann gut sein, dass wir am Saisonende zum ersten Mal in unserer Karriere auf dem letzten Platz des Rankings standen.
Dennoch verbinden wir mit diesem Jahr viele positive Erlebnisse. Am 11. Oktober 2014 haben wir unser Debüt in der 1. Männer-Bundesliga gegeben, beim Spiel SG BBM Bietigheim gegen die SG Flensburg-Handewitt. Das war ein schönes Geschenk für Marcus, der am folgenden Tag Geburtstag hatte - wir haben auf der Autobahn reingefeiert.
Und kurz darauf wartete schon der nächste Leckerbissen: Ein Team musste ein Spiel zurückgeben - und so saßen wir plötzlich wieder im Auto auf dem Weg zur Partie HBW Balingen-Weilstetten gegen die Rhein-Neckar Löwen. Unser zweiter Einsatz in der 1. Bundesliga - und direkt unser erstes Fernsehspiel bei Sport1. Wir waren so unfassbar aufgeregt.
Da die Teams im Elite-Anschlusskader - das ist bis heute so - Zeit bekommen, sich zu entwickeln, sind wir trotz der schlechten Platzierung in der ersten Saison nicht abgestiegen. Doch auch im zweiten Jahr war der Wurm drin: Mirko riss sich kurz nach dem Halbzeitlehrgang das Kreuzband und wir konnten die Rückrunde abhaken. Das war umso bitterer, weil wir eine echt gute erste Saisonhälfte gepfiffen hatten und schon ein bisschen auf den Aufstieg geschielt hatten.
Dieser gelang uns dann erst ein Jahr später - und tat wahnsinnig gut. Der Elite-Anschlusskader ist deshalb so hart, weil du weißt: Es geht nur hoch oder runter, du kannst hier nicht bleiben. Deshalb ist der Druck, unter dem du stehst bzw. den du dir selbst machst (und da waren wir keine Ausnahme), extrem hoch.
Seit der Saison 2017/18 gehören wir inzwischen dem Elitekader an. In der ersten Zeit ging es ums reine "Überleben"; wir wollten einfach nur drinbleiben. Mit der Zeit haben wir auch durch die Ansetzungen gemerkt, dass wir uns immer weiter etabliert hatten. 2019 wurden wir zu unserer großen Freude für das Final Four um den DHB-Pokal der Frauen nominiert, aber aufgrund einer nicht verschiebbaren beruflichen Verpflichtung mussten wir schweren Herzens absagen.
Während der Corona-Pandemie ist Marcus aus beruflichen Gründen nach Berlin gezogen. Es war jedoch keine Frage, dass wir zusammen weitermachen wollten. Andere Teams hatten bewiesen, dass es auch mit getrennten Wohnorten gehen kann - und nachdem wir zwölf Jahre zusammen in Autos gesessen hatten, weil wir nur 15 Kilometer auseinander wohnten, waren wir uns sicher, dass wir das auch hinkriegen.
Die Nominierung für das REWE Final4 in diesem Jahr kam für uns dennoch völlig überraschend. Wir hätten nie damit gerechnet, aber das hat es umso schöner gemacht. Es war ein großartiges Erlebnis und stellte handballerisch alles in den Schatten, was wir bis dahin erreicht hatten. Ein Teil von diesem Finalturnier sein zu dürfen, war eine Ehre für uns.
Und es hat uns noch einmal deutlich vor Augen geführt, was für ein großes Privileg wir haben. Natürlich haben alle Teams im Elitekader unfassbar viel Zeit und Arbeit in die Schiedsrichterei investiert und sich damit den Erfolg in gewisser Weise erarbeitet, aber es gehört auch unfassbar viel Glück dazu, was wir sehr zu schätzen wissen.
Man muss das Glück haben, den richtigen Gespannpartner zu finden.
Man muss das Glück haben, im richtigen Spiel zur richtigen Zeit den richtigen Coach zu haben - und andersherum in den richtigen (weil schlechten) Spielen auch gerade keinen Coach.
Man muss das Glück haben, dass oben genau im richtigen Moment ein Platz mehr frei wird.
Kurz gesagt: Es hätte auch alles anders laufen können. Dann hätten wir vielleicht nie in der Lanxess-Arena gestanden, mit Headset gepfiffen, ein Fernsehspiel gehabt, sondern hätten als Oberliga-Schiedsrichter aufgrund von Marcus Umzug die Pfeife an den Nagel gehängt. Wer weiß das schon. Wir sind einfach nur dankbar - und demütig - angesichts der ganzen tollen Erlebnisse und Begegnungen, die uns der Handball geschenkt hat.
Julia Nikoleit