11.11.2024, 15:00
Thore Poguntke im Interview:
Thore Poguntke (37) pfiff selbst bis 2018 in der 3. Liga, wurde Schiedsrichter-Coach und ist jetzt Leiter des Schiedsrichter-Ausschusses der 3. Liga. Am "Tag des Schiedsrichters" gibt er im Interview einen Einblick.
In der 3. Liga pfeifen Bundesliga-Absteiger, Jugendbundesliga-Teams, Aufsteiger aus den Landesverbänden und langjährige Drittliga-Erfahrene in einem Kader. Wie bekommt man all diese Schiedsrichter mit ihren unterschiedlichen Erfahrungen unter einen Hut bzw. auf eine ähnliche Linie?
Thore Poguntke: Das ist sicherlich eine Herausforderung, das will ich gar nicht abstreiten. Unser erklärtes Ziel im Deutschen Handballbund ist es, die gleichen Maßstäbe von der 1. Bundesliga bis zur Jugendbundesliga anzulegen. Die technischen Hilfsmittel wie Videobeweis und Buzzer sind ausgenommen, aber wir wollen einen möglichst gleichen Wissensstand und das gleiche Vorgehen.
Daher haben wir auf den Lehrgängen auch immer wieder Referenten aus dem Bundesligabereich. Es gehört jedoch natürlich zur Wahrheit dazu, dass die Leistungsunterschiede da sind, weil die neuen Drittliga-Schiedsrichter sich beispielsweise erst einmal an das Niveau gewöhnen müssen.
Wie geht ihr mit diesen Unterschieden um?
Der entscheidende Punkt ist, dass alle, die bei uns unterwegs sind, das gleiche Mindset haben. Sie haben das Ziel, in einer sehr anspruchsvollen Liga den Anforderungen gerecht zu werden, das eint sie. Wir müssen für alle Schiedsrichter den Rahmen schaffen, damit sie in der Lage sind, ihre Leistung abzurufen und sich weiterzuentwickeln. Das ist unsere Aufgabe und dafür stehe ich mit meinem Team an.
Wenn es um die Schiedsrichter im Deutschen Handballbund geht, steht die Bundesliga im Fokus; junge Schiedsrichter wollen den Schritt nach ganz oben machen. Wird die 3. Liga dabei zu oft unterschätzt bzw. übersehen?
Das glaube ich mitnichten. Wir stellen Aufsteiger in den Bundesligakader und in den vergangenen Jahren sind sie selten abgestiegen. Bei uns sind richtig gute Teams entwickelt worden - ein Beispiel dafür sind Friedel/Hermann, die in die 3. Liga abgestiegen sind und jetzt im Elite-Anschlusskader stehen. Sie haben das Jahr bei uns für sich genutzt, um sich zu verändern und so weiterzuentwickeln. Die Rahmenbedingungen und der Zuschauerzuspruch sprechen auch für sich; die 3. Liga ist für Schiedsrichter, die Bock und das nötige Talent haben, eine extrem attraktive Liga.
Magst du das ausführen?
Die 3. Liga ist ein bisschen das, was früher die 2. Liga war. Es ist eine in den letzten Jahren unheimlich professionalisierte Liga. Jedes Spiel bei Männern und Frauen wird gestreamt, die Vereine sind mitunter kleine Wirtschaftsunternehmen und der Zuschauerzuspruch gerade bei den Männern ist immens.
Es gibt Hallen, in denen jedes Wochenende Halli-Galli ist; wir hatten letztes Jahr 114 Spiele mit über 1.000 Zuschauern und ein Spiel sogar mit 7.000 Zuschauer. Die Aufmerksamkeit ist also da und das ist auch ein Ansporn für unsere Leute: Wenn ich in der 3. Liga als Schiedsrichter unterwegs sein will, muss ich nicht nur gute Leistung bringen, sondern mir bewusst sein, dass viele Augen daraufgucken. Es ist eine Ehre in dieser Liga aktiv sein zu können.
Professionalität, Wirtschaftsunternehmen und Zuschauerzuspruch: Das bezieht sich in erster Linie auf die Männer, oder?
Die Vereine haben bei den Männern in der Regel eine andere Wirtschaftskraft und andere Zuschauerzahlen, das stimmt, aber bei den Frauen ist die Leistungsdichte ebenfalls deutlich gestiegen, weil es nur noch drei statt vier Staffeln gibt. Wir merken, dass dadurch auch die Anforderungen an unsere Schiedsrichter gestiegen sind, die 3. Liga entwickelt sich.
Inwiefern war die Reduzierung um eine Liga eine Entlastung für euch?
Natürlich spüren wir, dass es weniger Spiele sind; daher sind wir auch mit einer geringeren Anzahl an Schiedsrichtern in die Saison gestartet. Es haben einige aufgehört und es gab sportliche Absteiger, es hat sich gut gefügt. Wir orientieren uns dabei an der Zahl der zu leitenden Spiele, wenn wir ein volles Wochende haben. An einem normalen Spieltag sind das 50 Partien.
Das bedeutet, ihr habt wie viele Schiedsrichterteams?
Wir haben aktuell 61 Schiedsrichter-Teams, die in der 3. Liga aktiv sind - im Standardkader, dem männlichen sowie weiblichen Anschlusskader und im so genannten "Perspektivkader plus", die also zugleich noch Jugendbundesliga pfeifen. Außerdem werden in Absprache mit Jutta Ehrmann-Wolf punktuell Schiedsrichter aus dem Nachwuchs- und Bundesligakader angesetzt.
Die Frauenförderung ist ein Punkt auf der Agenda von Schiedsrichter-Chefin Jutta Ehrmann-Wolf. Wie ist die Situation der Frauen-Teams in der 3. Liga?
Wir sind zu männerlastig unterwegs und würden gerne mehr Frauen-Teams in der 3. Liga haben. Ich würde mich daher freuen, wenn in den Landesverbänden mehr gefördert werden, damit sie das Leistungsniveau der 3. Liga erreichen. Wir haben den Landesverbänden deutlich gesagt, dass sie neben dem besten Gespann ein zusätzliches weibliches Team für die Sichtung melden können. Frauen müssen dann aber natürlich die gleiche Sichtung durchlaufen. Sie sollen weder überfordert werden noch dürfen sie nur deshalb hochgezogen werden, weil sie Frauen sind - sie müssen auf dem Leistungsniveau bestehen können.
Funktioniert das?
Es gab zuletzt ein Frauenteam, das wir auf diesem Weg identifizieren konnten. Es gibt ein Konzept zur Förderung mit dem Landesverband, der sie gezielt in der Regionalliga Männer einsetzt, während sie bei uns die erste Erfahrung in der 3. Liga insbesondere bei Frauenspielen machen. So führen wir sie an das Niveau heran und bisher ist die Erfahrung sehr positiv. Ich hoffe sehr, dass die Entwicklung so weitergeht.
Aufsteiger und Absteiger und damit neue Teams im Kader über verschiedene Wege: Wie hoch ist die Fluktuation?
Wir haben das Aufsteigerkonzept angepasst, um der jährlichen Fluktuation von etwa 25 Prozent des Kaders entgegenzuwirken, die weder uns noch den Vereinen geholfen hätte. Durch das neue Sichtungssystem gibt es jetzt in der Regel sechs Aufsteiger aus den Regionalligen. Die Anzahl der sportlichen Absteiger aus der 3. Liga ist nicht fix, denn das richtet sich auch danach, wie viele Teams beispielsweise aus anderen Gründen aufhören.
Es gibt jedoch immer sportliche Absteiger, das gehört zum sportlichen Wettkampf dazu und das wissen unsere Schiedsrichter. Wenn man die Leistung nicht bringt, wird man nicht mehr für die neue Saison in der 3.Liga nominiert. Das ist ein Ansporn für jeden Schiedsrichter, zu kämpfen und sich weiterzuentwickeln, denn Stillstand bedeutet Rückschritt.
Und obwohl es "unten" so viel Bewegung gibt: Nach oben, dabei bleibt es, gebt ihr einen Aufsteiger in die Bundesliga?
Ja, im Normalfall ist es ein Team, das den Aufstieg schafft und die Chance bekommt, sich im Bundesligakader zu beweisen. Das ist ein hartes Stück Arbeit und wenn man das geschafft hat, darf man redlich stolz darauf sein. Man muss stark an sich arbeiten und bereit sich, sich weiterzuentwickeln; das versuchen wir, mit Coachings und anderen Maßnahmen zu unterstützen. Wir haben allein in der letzten Saison 364 Coachings durchgeführt und da bin ich stolz drauf, dass wir so viel Input mit auf den Weg geben können.
Zum Abschluss zu dir: Du bist seit dem Sommer neuer Schiedsrichterwart der 3. Liga. Warum hast du dich entschieden, das Amt zu übernehmen?
Ich war vorher schon im Schiedsrichterausschuss der 3. Liga für den Bereich Anschlusskader und Anschlussförderung zuständig. Nach der vergangenen Saison hat Dirk Eggert dann erklärt, dass er nicht mehr zur Verfügung steht. Meiner Meinung nach hat er als Schiedsrichterchef der 3. Liga wirklich gute Arbeit gemacht und es war klar, dass wir die 3. Liga auch in Zukunft immer weiterentwickeln müssen. Jutta kam dann auf mich zu und fragte, ob ich die Aufgabe übernehmen würde und ich konnte es mir vorstellen.
Was hat dich überzeugt?
Ich wusste, dass wir ein gutes Team im Ausschuss sind, auf das ich mich verlassen kann. Wir verteilen die Last sehr gut, es liegt nicht alles auf meinen Schulter und dafür bin ich den anderen Mitgliedern sehr dankbar. Außerdem macht die Arbeit auch in der Sache einfach extrem viel Spaß. Wir haben einen sehr disziplinierten Kader und ich hoffe, dass ich das, was ich als Schiedsrichter an Erfahrungen machen durfte, jetzt vielleicht weitergeben kann.
Was ist dein Ziel?
Es ist mein Anspruch und mein Ansporn, die 3. Liga weiterzuentwickeln. Die Welt um uns herum dreht sich immer weiter und genauso müssen auch wir uns weiterentwickeln. Deswegen ist gerade die gute Zusammenarbeit mit dem Profibereich wichtig, denn es bringt nichts, wenn wir es als gallisches Dorf versuchen. Und vor allem will ich unsere Kernbotschaft vermitteln: 3. Liga zu pfeifen, ist einfach geil (lacht).
Natürlich ist der Aufwand größer, die Fahrten werden weiter und man muss sich entwickeln wollen, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es wirklich Spaß macht. Ich durfte mit meinem Gespannpartner damals Spiele in Hamburg vor 4.000 Zuschauern leiten, das war großartig und das nimmt uns keiner mehr. Mich persönlich haben diese Jahre in der 3. Liga sehr geformt und ich kann mit voller Überzeugung sein: Die 3. Liga ist auch für Schiedsrichter eine geile Liga!
jun