14.06.2024, 10:18
Handball-Turnier Paris 2024
Robert Schulze und Tobias Tönnies sind das Top-Gespann des Deutschen Handballbundes. Ihre Karriere auf einen Blick.
Die erfolgreiche Karriere von Robert Schulze und Tobias Tönnies begann mit einem Zufall: Als Jugendlicher entdeckte zunächst Schulze das Pfeifen für sich, doch einige Monate später meldete sich sein erster Partner vor einem Einsatz erkrankt ab. Schulze rief seinen Kumpel Tönnies an, der sich ohne Schiedsrichterschein bereit erklärte, einzuspringen. 1999 pfiffen die beiden Magdeburger in Haldensleben ihre erste gemeinsame Partie, in der Tönnies direkt eine rote Karte zeigte.
Es war der Anpfiff für eine eindrucksvolle Laufbahn der beiden Freunde, die beide 1983 geboren wurden und sich bereits seit ihrer Kindheit kennen. Sie waren Sitznachbarn in der Grundschule, nachmittags gingen beide gemeinsam zum Handballtraining beim TuS 1860 Magdeburg-Neustadt. Die Trainerin war Schulzes Mutter, der Co-Trainer Tönnies‘ Vater; in der C-Jugend feierten sie die Landesmeisterschaft und die Norddeutsche Meisterschaft. Schulze war der Spielmacher, der zehn Zentimeter größere Tönnies spielte im linken Rückraum.
Trotz der Erfolge in der Jugend war dem Duo früh klar: Anders als ihr damaliger Mannschaftskollege Christoph Theuerkauf, der später Nationalspieler werden sollte, würde es für die große Handballkarriere nicht reichen. "Als Sportler willst du es in deiner Sportart natürlich ganz nach oben schaffen", beschrieb Tönnies einst. "Da wir als Spieler nicht für höhere Aufgaben bestimmt waren, bot sich der Weg des Schiedsrichters an."
Der Fokus auf die Pfeife zahlte sich aus: Gerade einmal drei Jahre nach ihrem ersten gemeinsamen Einsatz in Haldensleben wurde das junge Gespann vom Handball-Verband Sachsen-Anhalt für den Regionalliga-Kader gemeldet. Und der Aufstieg von "Schulle" und "Keule", wie ihre Schiedsrichterkollegen sie rufen, ging nahtlos weiter: Auf die Teilnahme am damaligen Jung-Schiedsrichterprojekt des Deutschen Handballbundes folgte 2004 der Aufstieg in den Nachwuchskader, 2006 gelang der Schritt in den B-Kader.
Im November 2007 pfiffen Schulze und Tönnies ihr erstes Spiel in der 1. Männer-Bundesliga: HSG Nordhorn-Lingen gegen HBW Balingen-Weilstetten. "Robert zieht mich bis heute damit auf, dass er - im Gegensatz zu mir - bei unserem ersten Erstliga-Einsatz noch 23 Jahre alt war", schmunzelt Tönnies. Mit 23 Jahren und 11 Monaten ist Schulze der jüngste Erstliga-Schiedsrichter in der deutschen Handballgeschichte.
Die Erstliga-Premiere sollte jedoch nur ein weiterer Zwischenschritt auf ihrem Weg sein: Das internationale Parkett rief. 2012 leitete das Gespann Schulze/Tönnies sein erstes Spiel in der EHF Champions League, 2013 waren die Magdeburger erstmals bei einer Jugend-Weltmeisterschaft, 2014 folgte die Nominierung für die Frauen-Europameisterschaft. Es folgten verschiedene internationale Einsätze - beispielsweise bei der Panamerika-Meisterschaft 2016 -, bis 2019 die erste Männer-Weltmeisterschaft folgte.
Seitdem sind Schulze/Tönnies Dauergast bei Großturnieren. 2021 und 2023 folgten die nächsten beiden Männer-Weltmeisterschaft, hinzu kommen drei Männer-Europameisterschaften (2020, 2022, 2024). 2021 ging mit der Nominierung für die Olympischen Spiele in Tokio ein großer Lebenstraum in Erfüllung. "All die Arbeit und alles, was wir investiert haben, zahlt sich aus", hielt Tönnies damals vor dem Abflug fest. "Etwas Größeres gibt es im Sportlerleben nicht."
Das Endspiel der Männer-Europameisterschaft im Januar 2022 war kurz darauf der nächste Höhepunkt. „Der Moment, als ich mit Tobias zum Finale hinter der EHF-Fahne auflaufen durfte, war Gänsehaut pur", beschrieb Schulze anschließend. Inzwischen haben Schulze/Tönnies über 600 Einsätze für den Deutschen Handballbund und knapp 200 Spiele auf internationalem Parkett absolviert. Seit 2019 sind die Magdeburger durchgehend beim REWE Final4, 2021 leiteten sie das Endspiel.
Fünf Auszeichnungen als "Schiedsrichter der Saison" (2018/19, 2020/21, 2021/22, 2022/23, 2023/24) sowie zwei Prämierungen bei den German Handball Awards (2021, 2022) unterstreichen ihre Stellung als deutsches Top-Gespann. "Man kann euch in jede Halle dieser Welt schicken - und egal, wie hoch der Druck von Trainern, Zuschauern und Spielern ist: Ihr pfeift eine klare und konsequente Linie und das zeichnet euch aus", lobte der frühere Olympia-Schiedsrichter Lars Geipel 2022 in seiner Laudatio.
Schiedsrichter-Chefin Jutta Ehrmann-Wolf war selbst noch aktiv, als Schulze/Tönnies 2007 in die 1. Bundesliga kamen. "Sie kamen als Hoffnungsträger in den Elitekader und haben sich über die Jahre zu hervorragenden Schiedsrichtern und Persönlichkeiten entwickelt", lobt die heutige Leiterin des deutschen Schiedsrichterwesens. "Sie gehen mit großem Vorbild voran und es ist elementar, solche Zugpferde zu haben. Wir brauchen Rolemodels wie Robert und Tobias, damit junge Menschen sehen, wie toll das Hobby Schiedsrichter sein kann und wie es sich zu einer Berufung entwickeln kann."
Die Schiedsrichterei prägt seit Jahren das Leben und den Alltag der beiden Freunde. Die Balance zwischen Pfeifen, Beruf und Familie - Schulze arbeitet als Investment Sales Manager, Tönnies ist Immobilienkaufmann und hat einen Sohn - ist zwar nicht immer leicht, doch Zweifel haben sie keine. "Irgendwann haben wir alles auf das Pfeifen ausgerichtet und nicht mehr überlegt, was wir stattdessen machen könnten. Die Schiedsrichterei ist einfach zu unserem zweiten Leben geworden", beschrieb es Tönnies.
Ebenso unumstritten ist ihre Freundschaft. "Das ist wie eine lebenslangen Ehe", scherzte Tönnies einst, während Schulze frotzelte: "Schiedsrichterei ist Paartherapie höchsten Grades." Da beide jedoch grundverschiedene Typen sind, ergänzen sich Stärken und Schwächen: Schulze ist eher der kommunikative Typ, der auf Menschen zugeht, Tönnies der ruhige Pol im Gespann.
Dass sie sich so akzeptieren, wie sie sind, ist für das Duo das Geheimnis hinter der engen Freundschaft. Natürlich geraten auch die beiden Magdeburger mal aneinander: "Wenn wir uns in den Haaren hatten, schweigen wir uns nach einem Spiel auch mal vier Stunden im Auto an", verriet Tönnies in Bock auf Handball. "Aber dann ist es auch schnell wieder vergessen." Denn spätestens im nächsten Spiel müssen sich die beiden wieder aufeinander verlassen.
jun