15.02.2025, 15:11
Nach über achtzehn Monaten Pause
Für Anais Gouveia begann Ende Juli 2023 mit einer Knieverletzung eine Leidenszeit, die eine über achtzehnmonatige Pause nach sich ziehen sollte. Nun steht die Spielerin der Spreefüxxe aus Berlin vor der Rückkehr auf das Parkett.
Es passierte an einem gewöhnlichen Freitagnachmittag. Der 28. Juli 2023. Sömmeringhalle in Berlin Charlottenburg. Handballtraining, wie jeden Tag in der Saisonvorbereitung. Am Tag danach sollte es für die Spreefüxxe Berlin ins Trainingslager nach Dänemark gehen. Es war eine ganz normale handballtypische Bewegung, aber diesmal hatte eben diese Bewegung schwerwiegende Folgen.
Anais Gouveia bleibt mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden liegen und fasst sich direkt an ihr linkes Knie. Ihre Mitspielerinnen eilen heran und versammeln sich schnell um sie herum. "Ich habe gleich gemerkt, dass etwas nicht stimmt," so die Rechtsaußen. Sofort war klar: das Training geht nicht weiter, nicht für Anaïs und auch nicht für alle anderen.
"Wir sind dann sofort mit ihr zum Physio gefahren und haben versucht schnellstmöglich einen MRT-Termin zu organisieren," erinnert sich Füxxe-Coach Susann Müller zurück. "Natürlich hat man da auch als Trainerin viele Gedanken im Kopf, am meisten natürlich die Hoffnung."
Es beginnt das Bangen um die schwere der Verletzung. Nach dem MRT-Termin drei Tage später im Sporthopaedicum Berlin dann die niederschmetternde Diagnose: Riss des vorderen Kreuzbandes, sowie ein Meniskusschaden und eine damit verbundene Zwangspause von mindestens neun Monaten.
"Es ist schwer das Gefühl zu beschreiben, wenn man sich verletzt," so Anais Gouveia nach Erhalt der Nachricht. "Man hofft bis zur endgültigen Diagnose, dass es nichts Schlimmes ist. Danach durchläuft man einigen Wellen an Emotionen and Zweifeln."
Knapp zwei Wochen nach dem Trainingsunfall erfolgte dann die Operation. Am 14. August 2023 wurde die Portugiesin von Professor Doktor Scheffler im Sporthopaedicum erfolgreich am Knie operiert und vor ihr lagen jetzt mehrere Monate Rehabilitationsphase.
Und so standen die Spreefüxxe zu Saisonstart im September plötzlich nur mit einer 16-jährigen Rechtsaußen da. Der Jung-Füxxin Farrelle Njinkeu, die gerade aus der Jugend des TSC hochgezogen wurde, war eigentlich eine ganz andere Rolle zugedacht. "Sie sollte vor allem lernen, erste Erfahrungen im Seniorinnenbereich sammeln und langsam ins Team wachsen," so Trainerin Susann Müller.
Nun lastete plötzlich eine größere Verantwortung auf ihren Schultern. "Als ich von der Verletzung informiert wurde, war ich fassungslos. Es hat einige Tage gebraucht, bis ich realisiert habe, dass ich viel mehr Verantwortung in der Mannschaft tragen werde. Diese Situation habe ich als Herausforderung wahrgenommen, an der ich wachsen kann," so die heute 18-Jährige.
In den folgenden Monaten arbeitet die portugiesische Nationalspielerin täglich an ihrem Comeback. Physiotherapie, Reha, Arztbesuche, Kraftaufbau, Schnelligkeitsübungen. Tägliches Training zuerst im rehathleticum und seit Juli 2024 in der neuen Füxxe-Partnerpraxis Proximed.
"Es gibt in dieser Periode immer Tage, an denen man ängstlich oder unmotiviert ist," erinnert sich Anais Gouveia. "Aber es gibt auch positive Zeiten, in denen man jede Chance nutzen möchte, um sich zu verbessern und daran muss man sich festhalten. Das habe ich während meiner gesamten Rehazeit getan: geduldig sein und dem Prozess vertrauen."
Mitten in dieser schweren Zeit, hat sie im Februar 2024 ihren auslaufenden Vertrag mit dem Hauptstadtclub verlängert. "Ich bin sehr dankbar für das Vertrauen, das mir die Füchse entgegenbringen, indem sie mich trotz meiner Verletzung weiter unter Vertrag nehmen. Ich arbeite hart an meiner Rückkehr und freue mich darauf, nächste Saison wieder auf dem Platz zu stehen. Es wird ein herausforderndes Jahr werden, aber ich bin bereit dafür!" sagte Anais Gouveia damals.
Die Unterstützung von Vereinsseite war groß. "Wir haben damals frühzeitig signalisiert den Vertrag von Anaïs trotz ihrer Verletzung verlängern zu wollen," so Füchse-Managerin Britta Lorenz. "Dies war für uns selbstverständlich, denn sie war und ist sowohl menschlich als auch sportlich ein wichtiger Faktor in unserem Team."
Bei den Punktspielen nach ihrer Verletzung ist sie natürlich in der Halle anwesend, um ihr Team zu unterstützen und auch bei vielen Trainingseinheiten ist Anaïs dabei "einfach um bei den Girls zu sein."
Auf ihre Positionskollegin Farrelle Njinkeu hat sie dabei immer ein besonderes Auge. "In der Zeit, in der Anaïs nicht spielen konnte, war sie immer für mich da. Egal ob es Anweisungen vom Spielfeldrand oder außerhalb der Halle waren. Sie war und ist immer bereit mit mir gemeinsam Lösungsansätze zu finden, um mich zu verbessern," sagt die junge Rechtsaußen.
Das erste Laufen auf dem Laufband am 26. Februar 2024, ein halbes Jahr nach ihrer OP, war für Anais Gouveia etwas ganz Besonderes. Es ging aufwärts und alle hatten Hoffnung, dass Anaïs zum Vorbereitungsstart im Juli wieder dabei sein konnte.
Doch dann der Rückschlag. Die Ärzte entschieden, dass ein erneuter Eingriff notwendig sei. Am 27.Mai 2024 entfernte Professor Doktor Scheffler das entstandene Narbengewebe in ihrem Knie.
"Das war natürlich ein Schock, weil es eigentlich in der Reha sehr gut lief. Es dauerte alles etwas länger als bei so einer Verletzung normalerweise üblich ist. Es war beängstigend wie die Tage, Wochen und Monate vorbeizogen, ohne dass ich mich bereit fühlte, wieder ins Training einzusteigen. Für mich persönlich waren 12 Monate die absolute Deadline für mein Comeback, aber so ging es leider nicht", so Anais Gouveia.
Anfang Januar 2025, 16 Monate nach der ersten Operation, war es dann endlich so weit, und Anais Gouveia konnte wieder leicht ins Mannschaftstraining einsteigen.
"Es war auf jeden Fall ein Meilenstein, wieder mit den Mädels trainieren zu können. Als Mannschaftssportlerin ist es schwer, für so eine lange Zeit allein zu trainieren. Je näher ich meinem Comeback kam, desto ängstlicher wurde ich, weil ich nicht wusste, ob mein Körper und mein Kopf bereit dazu waren", berichtet die Außen.
"Das ist etwas, was schwer zu erklären ist für Menschen, die es nicht selbst erlebt haben. Du fängst an dich mit deinen Gedanken zu duellieren, alles in Frage zu stellen und zu denken, dass du es nicht schaffen wirst. So viele Male habe ich gedacht: Du wirst den Zug verpassen", so Anais Gouveia.
Doch der "Sonnenschein", wie sie in Mannschaftskreisen genannt wird, macht weiter, immer weiter und gibt nicht auf. "Ich bin nicht umsonst durch die letzten Monate gegangen. Ich habe für all die Leute weitergemacht, die mich wieder spielen sehen wollen. Ich möchte die positive Energie aufs Spielfeld bringen, so wie ich es vor meiner Verletzung getan habe und mich damit bei allen bedanken, die an mich geglaubt haben. Aber am allermeisten habe ich das Alles für mich getan."
Vertrauen in ihr Knie hat die 28-jährige Anais Gouveia mittlerweile zurückgefunden. Beim Auswärtsspiel gegen den Bergischen HC am 25. Januar 2025 war die Portugiesin erstmals wieder im Kader und saß im Füxxe-Trikot auf der Bank.
"Als wir am Freitag vor dem Spiel entschieden haben, dass ich wieder auf der Bank sitzen kann, habe ich einen kleinen Freudentanz in meiner Wohnung gemacht", so Anais Gouveia. "Am Spieltag hatte ich Kribbeln im Bauch. Das Füxxe-Trikot wieder anzuziehen ist ein Gefühl, was ich auf jeden Fall sehr vermisst habe. Es hat sich so gut angefühlt wieder ein Teil dieses Ablaufs zu sein."
Zu einem Einsatz kam es bisher noch nicht, aber nun steht Anais Gouveia kurz vor ihren ersten Spielminuten nach mehr als achtzehn Monaten Pause. "Daran zu denken, macht mich nervös, aber ich freue mich darauf. Alles was ich möchte ist die ersten Minuten mit meinem Team zusammen genießen und mein Bestes geben."
Nina Müller, Spreefüxxe