11.11.2024, 13:30
Professionalisierung bei den Bundesliga-Schiedsrichtern
"Die einzigen Amateure auf dem Feld sind die Schiedsrichter": Dieses Vorurteil war in den vergangenen Jahrzehnten im Bundesligahandball immer wieder zu hören. Die Anforderungen an die Unparteiischen sind stetig gestiegen, sodass das Pfeifen für viele zum Zweitjob geworden ist. Christian und Fabian vom Dorff geben für den "Tag des Schiedsrichters" einen Einblick in den Alltag abseits des Feldes.
Wenn man Christian und Fabian vom Dorff über die Professionalisierung im Schiedsrichterwesens spricht, hören die beiden Brüder gar nicht mehr auf zu reden. Medienpräsenz und Headset. Pulsuhren und Sponsoren. Fitnesstracking und Online-Meetings. Videoanalysen und Wochenspieltage. Feedbackbögen und Reiseplanung. Die Worte fliegen einem nur so um die Ohren.
Seit 24 Jahren pfeifen die Brüder vom Dorff zusammen, seit 2012 in der 1. Bundesliga. Sie haben die Entwicklung in den vergangenen Jahren am eigenen Leib erfahren. "Es ist immer noch ein Hobby, aber ein Vollzeit-Hobby", so fasst Fabian es zusammen. "Die Professionalisierung findet seit Jahren immer mehr statt, das Schiedsrichterwesen hat riesige Schritte gemacht."
Wie viele Wochenstunden sie in den Handball stecken, haben sie nie detailliert erfasst. Als selbstständige Unternehmer - Christian ist Elektrotechnikmeister, Fabian Gesellschafter und Geschäftsführer eines Sanitätshauses - arbeiten sie ohnehin schon immer wieder mehr als 40 Stunden; zusätzlich scheinen auf Basis ihrer Berichte 20 bis 25 Wochenstunden für den Handball - je nach Distanz der Spielorte - ebenfalls Normalität zu sein.
"Wir sind keine Maschinen, sondern ganz normale Menschen mit ganz normalen Jobs und einer ganz normalen Familie, die unglaublich viel Zeit investieren", sagt Christian. "Wir wissen, dass die finanzielle Entlohnung natürlich auch gut ist, aber es stellt sich trotzdem die Frage, wie wir dem Vollzeit-Hobby gerecht werden können?" Keiner der Schiedsrichter wolle Applaus für den Einsatz, ergänzt Fabian: "Wir wollen nur für das, was wir leisten, respektiert werden."
Doch was genau gehört zur Leistung eines Bundesliga-Schiedsrichters dazu?
Die reinen 60 Spielminuten auf dem Feld in der 1. und 2. Bundesliga machen dabei - zeitlich betrachtet - den geringsten Teil aus. An- und Abreise erfolgt durch ganz Deutschland mit Auto oder Zug; Flüge müssen beantragt werden. Für die Reiseplanung und Hotelbuchung sind die Unparteiischen selbst zuständig; ebenso für die Abrechnung der Kosten. Die gestiegene Anzahl an Wochenspieltage ist eine zusätzliche Herausforderung in Sachen Vereinbarkeit.
Um in der Bundesliga pfeifen zu können, ist sportliche Fitness eine Voraussetzung. "Das Spiel wird immer schneller, man muss körperlich und mental bereit sein, um zu bestehen", sagt Christian. Einmal im Monat muss ein Ausdauerlauf nachgewiesen werden; hinzu kommt ein Fitness-Tracking über die Polar-Uhr, die jeder Unparteiische in der Bundesliga erhält.
Auch die Nachbereitung hat sich verändert - und ist intensiver geworden. Früher fand das Beobachtungsgespräch direkt nach Abpfiff in der Kabine statt und das Gespann erhielt seine Punktzahl. Heute analysieren Coach und Schiedsrichter das Spiel erst noch einmal getrennt im Video und schalten sich dann zu einem oft einstündigen Videocall zusammen, um die Erkenntnisse zu besprechen.
Ohnehin ist die Videoanalyse immer wichtiger geworden, denn die Szenen werden nicht nur gespannintern besprochen, sondern können (und sollen) über das Portal Sportlounge an die Schiedsrichterkollegen zur Verfügung gestellt werden. "Wir stellen interessante Videoszenen mit einer Beschreibung ein, sodass alle davon lernen können", erklärt Fabian. Sobald es einen Videobeweis oder eine Disqualifikation gab, ist das Schneiden, Beschreiben und Einstellen der Szene ohnehin Pflicht.
Die inhaltliche Weiterbildung findet längst nicht mehr nur auf Sommer- und Winterlehrgang statt, der Lehrstab bittet regelmäßig im Saisonverlauf zu zusätzlichen Online-Meetings. "So können wir nachjustieren", sagt Christian. Und ebenfalls neu: Wenn Trainer oder Offizielle in den Vereinsbeobachtungen eine Videoszene nennen, müssen die Unparteiischen darauf eine Antwort schicken. Nach jedem Einsatz muss zudem ein kurzer Feedbackbogen zu Zeitnehmer und Sekretär ausgefüllt werden, 24 Stunden haben die Unparteiischen nach dem Abpfiff dafür Zeit.
Und, ein ganz entscheidender Punkt: Die mediale Aufmerksamkeit ist gewachsen. "Früher blieb ein krummer Pfiff auch mal verborgen, weil es nur ein Fernsehspiel gab - heute haben wir knifflige Szenen teilweise mit dem Abpfiff schon mehrfach aufs Handy geschickt bekommen", berichtet Fabian. "Das ist ein unglaublicher Mehrwert für die Sportart Handball, aber steigert natürlich den Druck, unter dem wir stehen, um ein Vielfaches." Hinzu kommen regelmäßige Meinungsabfragen sowie die Beteiligung an Umfragen, beispielsweise von Studenten.
Der ständige Austausch mit dem Gespannpartner und den Kollegen nimmt ebenfalls Zeit in Anspruch. "Ich weiß nicht, wie lange wir in der Woche für den Handball am Telefon hängen", schmunzelt Fabian. "Und das alles", ergänzt Christian, "machen wir in unserer Freizeit." Während die Brüder das nach und nach aufzählen, scheinen sie selbst verdutzt: "Das ist schon krass."
Wäre der Hauptberuf Schiedsrichter nicht vielleicht doch eine Option?
Die Frage ist kaum gestellt, da schütteln beide Brüder nachdrücklich den Kopf. Kein Interesse. "Für uns ist das unvorstellbar", sagt Christian und verweist zusätzlich auf zahlreiche offene Fragen. Fabian bringt zudem einen anderen Aspekt ins Spiel: "Würde ein hauptberuflicher Schiedsrichter eine bessere Leistung bringen?"
Er glaubt: Nein. "Ich bin davon überzeugt, dass es dadurch nicht weniger Fehler geben würde", führt er aus. "Wir beschäftigen uns jetzt schon unfassbar viel mit dem Spiel, aber im Fokus stehen ohnehin nur die 60 Minuten. Und da bringt man keine bessere Leistung, nur, weil es der Hauptjob ist."
Die Brüder glauben vielmehr an die intrinsische Motivation, die in der Ausübung des "Lieblings-Hobbys" steckt. "Leidenschaft und der eigene Ehrgeiz", sagt Fabian, "spornen uns zu unseren Leistungen, da würde ein Arbeitsvertrag nichts ändern." Frankreich führte 2016 den Profi-Schiedsrichter ein, doch Schule machte dieses Experiment nicht.
Auch für die Brüder vom Dorff ist das Pfeifen ein Hobby - und soll es bleiben: "Der Rahmen ist gut, so wie er ist - und in dem Rahmen machen wir Schritte nach vorne. In den letzten Jahren gab es eine tolle Entwicklung, auf die alle Beteiligten unglaublich stolz sein können."
jun