27.06.2024, 06:00
Die vier Baustellen des Rekordmeisters
Der THW Kiel hat in der abgelaufenen Saison die Mission Titelverteidigung klar verpasst. Trotzdem steht der Rekordmeister wohl vor der Verpflichtung von Nationaltorwart Andreas Wolff. Aber wird mit Wolff alles besser? handball-world blickt auf die vier größten Baustellen des THW.
Kein Titel und auch die Qualifikation für die Champions League verpasst - für den THW Kiel verlief die abgelaufene Saison alles andere als geplant. Der erfolgsverwöhnte Klub kassierte in der Bundesliga so viele Minuspunkte wie zuletzt vor 20 Jahren.
Damit eine solch enttäuschende Saison nicht nochmal passiert, befinden sich die Verantwortlichen bereits seit zwei Wochen in der Analyse. Viktor Szilagyi kündigte unlängst an, dass es unpopuläre Entscheidungen geben könnte.
Eine erste große Entscheidung scheint bereits getroffen, denn Nationaltorhüter Andreas Wolff steht offenbar vor einer sensationellen Rückkehr nach Kiel. Doch reicht ein Wolff allein, damit alles wieder besser wird? handball-world blickt die auf die vier Baustellen des Rekordmeisters.
Das offensichtlichste Defizit des THW war in der abgelaufenen Saison die Torwart-Position. Der eigentliche Ersatz für Niklas Landin, Vincent Gerard, absolvierte verletzungsbedingt keine Partie und flüchtete in der Winterpause zurück in seine französische Heimat.
Kiel holte mit Samir Bellahcene einen Ersatz, der in den ersten Wochen voll einschlug. Dank dieser starken Leistung erarbeitete er sich einen Platz im EM-Kader und verhalf Frankreich mit einer Fangquote von 30,88 Prozent sogar zum Titelgewinn.
Nach dem Turnier konnte er allerdings nicht mehr an diese Performance anknüpfen und auch bei Gespannpartner Tomas Mrkva wechselten sich Licht und Schatten ab. Szilagyi gestand daher bei den Kieler Nachrichten unlängst, dass man auf dieser Position "leistungsmäßig abgefallen" sei. In Zahlen ausgedrückt heißt das: In dieser Spielzeit gab es nur 362 Paraden statt 470, die Quote fiel von 33,89 Prozent auf 26,83.
Um diesen Trend entgegenzuwirken, werden die Kieler allem Anschein nach auf dem Transfermarkt aktiv. Eine Rückkehr von Wolff steht kurz bevor, ehe 2025 dann Gonzalo Perez de Vargas kommt. Das dürfte das Aus für das aktuelle Duo bedeuten.
Ein weiteres großes Problem war die halbrechte Position im Rückraum. Durch die langwierige Verletzung von Steffen Weinhold lastete die komplette Last auf der Position fast ausschließlich auf Harald Reinkind.
Zwar holte der THW zu Saisonbeginn Eduardo Gurbindo hinzu, jedoch entpuppte sich der Routinier als Flop. Er kam in 20 Bundesliga-Spielen zum Einsatz, erzielte jedoch nur magere neun Törchen.
Diese fehlende Entlastung war Reinkind anzusehen. Er netzte nur 80-mal, weniger Tore erzielte er zuletzt in seiner ersten THW-Saison 2018/2019. Doch für den Norweger ist Besserung in Sicht. "Wir sind froh, dass wir mit Emil Madsen eine Verstärkung bekommen", meint Szilagyi und hofft, dass der junge Däne für Entlastung sorgen wird.
Ein weiteres großes Problem ist die fehlende Konstanz. Während der THW in der Vorsaison noch viele seiner Gegner im Griff hatte, schwankte nun die Leistung von Woche zu Woche.
Bestes Beispiel dafür ist das Champions-League-Viertelfinale gegen HB Montpellier. Im Hinspiel in Frankreich war die Mannschaft von Filip Jicha klar unterlegen und erlebte eine historische 30:39-Klatsche. Eine Woche später zeigten die Zebras ein komplett anderes Gesicht und siegten mit 31:21.
"Jeder Einzelne muss aus der Saison lernen, muss die Sachen bewusster angehen, damit wir nicht noch einmal in eine solche Phase reinkommen, wo wir ab September nur noch hinterhergelaufen sind, der Druck immer größer wurde", fordert daher der THW-Geschäftsführer und verweist damit auf den Saisonauftakt, bei dem der Traditionsverein nur vier von acht Partien gewann.
Ein weiteres großes Problem ist die enorm geringe Anzahl an Toren aus der Nahdistanz. Mit 280 solcher Treffer gibt es in der HBL nur zwei Teams, die noch seltener aus diesen Situationen trafen. Zum Vergleich: Der SC Magdeburg netzte 447-mal aus der Nahdistanz.
Doch aufgrund der Entwicklung des Spiels zu mehr 1-gegen-1-Duellen und weniger Würfen aus dem Rückraum wackelt die Spielweise nun. Zwar ist die Trefferquote beim THW nur um ein Prozent auf 63,46 Prozent zurückgegangen, doch statt Platz vier im Vorjahr reichte es nun nur zu Rang acht.
Dementsprechend sollte man über einen Systemwechsel nachdenken, zumal man angesichts der Verjüngung im Kader bereits neue Wege geht. Dieser Wechsel dürfte allerdings nicht einfach sein, da es dafür auch das notwendige Spielermaterial braucht.
So oder so müssen die Verantwortlichen handeln, wenn sie den Anschluss an die Spitze wiederherstellen wollen.
Sebastian Mühlenhof