01.01.2025, 17:00
Handball-Bundestrainer vor WM über Kader, Talente und Erwartungen
Im Interview sprach Handball Bundestrainer Alfred Gislason vor dem Start der direkten Vorbereitung auf die bevorstehende Handball-WM über seinen Kader, die Talente, den gestiegenen Erwartungsdruck nach Olympia-Silber sowie auch die Ziele und die Konkurrenten. Im Gespräch mit dem SID ist ihm die Vorfreude auf das Turnier dabei anzumerken.
Alfred Gislason, erst die berauschende Heim-EM, dann die versilberten Olympischen Sommerspiele - und jetzt wirft mit der WM das nächste Highlight seine Schatten voraus: Wie groß ist Ihre Vorfreude?
Alfred Gislason: Ich empfinde sehr viel Vorfreude. Ich freue mich richtig, jetzt wieder mit den Jungs zu arbeiten, weil es mit der Mannschaft einfach Spaß macht. Und ich spüre Zuversicht. Das Team hat alle Möglichkeiten, wieder Richtung Halbfinale zu kommen.
Wir dürfen aber nicht glauben, dass so etwas automatisch passiert, nur weil wir zuletzt zweimal das Halbfinale erreicht haben, dass es einfach so weiter geht. Die Jungs wissen, dass das nur über Leistung geht. Ich glaube sogar, dass bei der WM ein bisschen mehr Druck auf die Spieler und die Mannschaft zukommt.
Jetzt, wo die Jungs diese Leistungen gebracht haben, guckt keiner mehr, wie alt sie sind oder wie wenig Länderspiele sie zum Teil erst haben. Nun wird erwartet, dass sie das wiederholen. Und damit könnte der ein oder andere Spieler kurzfristig Probleme haben. Ich denke aber, dass wir uns schnell daran gewöhnen werden.
» Kader Deutschland Handball-WM 2025
Inwieweit sind Sie gefragt, diesen Druck zu dämpfen?
Alfred Gislason: Ich werde weiter versuchen, an der Seitenlinie Spaß zu haben und die Zeit zu genießen, egal, was passiert.
» Spielplan Handball-WM 2025
Besteht bei einem Spieler wie Renars Uscins, der seit Wochen und Monaten in der Nationalmannschaft und im Verein auf höchstem Niveau agiert, die Gefahr, dass er eine Leistungsdelle bekommt?
Alfred Gislason: Renars hat eine überragende Entwicklung genommen. Er hat eine Mischung aus ein bisschen verspielt und sehr bodenständig von seiner Erziehung. Deswegen glaube ich, dass er einfach weiter seinen Weg machen wird. Er ist so vielseitig im Angriff und wird immer besser in der Abwehr. Er versteht Handball einfach gut.
Hoffentlich bleibt er gesund, dann wird er seinen Weg weiter machen. Man hat zuletzt gemerkt, dass er ein bisschen anders angefasst wird. Ihn unterschätzt jetzt keiner mehr. Der eine oder andere versucht auch, ihn ein bisschen mehr zu provozieren. Da muss er seine Ruhe behalten, damit er nicht abgelenkt wird. Das ist ein Lernprozess. Wir freuen uns auf ihn.
Eine andere Entdeckung im deutschen Handball ist Marko Grgic. Was halten Sie von ihm?
Alfred Gislason: Marko ist seinen Weg in Eisenach weiter gegangen. Er kann einige Positionen spielen und ist noch besser in dieser Saison als im letzten Jahr. Er hat eine bemerkenswerte Übersicht und ein gutes Timing im Angriff. Er ist genau wie Uscins, Justus Fischer, David Späth und einige weitere ein Spieler, der Weltklasse werden kann.
Späth bildet wie schon bei den letzten Turnieren zusammen mit Andreas Wolff das Torhüter-Gespann bei der WM. Was zeichnet die beiden aus?
Alfred Gislason: Auch wenn beide groß sind, sind sie vom Stil her sehr unterschiedliche Torhüter. Andi war ein extremer Hitzkopf, als ich ihn damals nach Kiel geholt habe. Inzwischen ist er anders. Er ist viel ruhiger, viel reifer, überlegter geworden. Andi und David sind beide extrovertierte Typen, sie sind unglaubliche Kämpfer und helfen einander.
Selbst der Altersunterschied ist eher ein Plus als ein Minus. Sie ergänzen sich gut. Andi ist klar der erste Mann. Und David weiß, dass er auch mal anfangen oder jederzeit reinkommen kann. Diese Mischung ist super. Das Wichtigste ist aber, dass beide eine unglaubliche Qualität haben.
» Die HBL-Torhüter vor der WM im Formcheck
Was auffällt: Acht Spieler im 19-köpfigen WM-Kader sind 25 Jahre alt oder jünger. Muss sich die Handballwelt vor dieser deutschen Mannschaft fürchten?
Alfred Gislason: Viele Leute verstehen noch gar nicht, wie jung die Mannschaft eigentlich ist. Wir haben einen Kern, der normalerweise noch mehr als zehn Jahre zusammen spielen kann. Das hat keine andere Nation. Die Franzosen beispielsweise haben natürlich eine super Mannschaft, aber deren Spieler sind im Schnitt alle fünf, sechs Jahre älter als unsere. Und dahinter kommen nicht so viele junge Spieler, wie wir sie haben.
Wir können uns auf unsere Mannschaft freuen, aber die Spieler müssen halt weiter fokussiert sein und diesen Willen haben, immer besser zu werden. Und ich hoffe, dass ich es nicht erleben werde, dass die Spieler sagen werden: 'Die Belastung in der Bundesliga ist zu hoch und ich kann nicht zur Nationalmannschaft kommen.' Ich hoffe, dass ich das nicht erleben werde und mein Nachfolger auch nicht. Wer auch immer es wird und wann.
Viele zählen Deutschland mittlerweile zum Kreis der Medaillenkandidaten. Ist das berechtigt?
Alfred Gislason: Nach wie vor ist Dänemark weiter das Maß aller Dinge. Die Franzosen haben zwar die Verletzung von Dika Mem zu verkraften. Sie zählen aber nach wie vor wie die Schweden zu den großen Drei. Dahinter kommen Teams wie Kroatien, Norwegen, wir, Island, Slowenien und Spanien.
Es ist so eng und es kann so viel passieren. Deswegen muss man sich einfach auf den nächsten Gegner fokussieren und nicht anfangen zu rechnen. Man muss einen Schritt nach dem anderen nehmen. Unser Ziel ist es, erstens die Polen zu schlagen und zweitens die Gruppe zu gewinnen. Und dann sehen wir weiter."
Welche Bedeutung hat die unmittelbare Turnier-Vorbereitung? Wo liegen die Schwerpunkte Ihrer Arbeit?
Alfred Gislason: Wir haben jetzt zwei Spiele gegen Brasilien. Viele sagen vielleicht: Das ist ein leichter Gegner. Aber Brasilien hat sich weiterentwickelt. Das ist eine Mannschaft, die in den nächsten Jahren sehr viel besser wird.
Ich freue mich sehr auf die Brasilianer, weil sie gut sind. Die werden uns richtig fordern und zeigen, wo wir Schwachstellen und Probleme haben. Dann gehen wir nach Dänemark und müssen uns in Ruhe auf unsere Gruppe und das Spiel gegen Polen vorbereiten.
» Übersicht: Testspiele vor der Handball-WM
Wer sind die WM-Favoriten? Was erwarten Sie von den Dänen bei deren Heimturnier?
Alfred Gislason: Auch wenn Niklas Landin und Mikkel Hansen zurückgetreten sind, haben die Dänen eine wahnsinnige Breite. Wenn man nur sieht, welche Rückraumspieler in der Bundesliga spielen, die weit weg auch nur von der Möglichkeit sind, für die Nationalmannschaft aufzulaufen.
Die Dänen werden der ganz große Favorit auf den Titel sein, gerade weil sie zuhause spielen und Dika Mem bei den Franzosen fehlt. Wir werden aller Voraussicht nach in der Hauptrunde auf sie treffen - schauen wir mal, was wir da machen.
Es ist das erste Turnier ohne Nikola Karabatic und Mikkel Hansen - wer werden die Stars nach den Stars?
Alfred Gislason: Das sind viele, die infrage kommen. Die Dänen haben einige dabei, aber auch die Franzosen. Mathias Gidsel ist normalerweise derjenige, wo alle sagen: Das ist ein logischer MVP für das Turnier. Oder Emil Nielsen im dänischen Tor. Der ist keinesfalls schlechter als Niklas Landin.
» Diese Handball-Stars beendeten 2024 ihre Karriere
Hinweis: Das Interview führte der SID.
SID