28.10.2022, 11:42
DHB-Kapitänin spricht über die EM und die Vorfälle im Frauen-Handball
Emily Bölk wurde mit 23 Jahren bereits Kapitänin des DHB-Teams. Im Interview mit dem kicker spricht sie über ihre besondere Karriere, die anstehende EM und über die Vorwürfe gegen André Fuhr.
Frau Bölk, wie fühlt es sich an, 22 Tore in einem Spiel zu werfen?
Das ist schon eine ganze Weile her. Prinzipiell war es nur durch doppelte Verlängerung und Siebenmeterwerfen möglich. Das war schon ein verrücktes Spiel. Aber obwohl es so lang her ist, habe ich es doch noch ganz gut in Erinnerung. Das war bei der U-18-WM 2014 im Achtelfinale gegen Portugal.
Sie debütierten mit 16 Jahren in der Frauen-Bundesliga, mit 18 Jahren in der Nationalmannschaft und wurden mit 23 Jahren schon Kapitänin. Was haben Sie, was andere nicht haben?
Ich glaube, dass ich schon die Persönlichkeit mitbringe, dass ich das mit den jungen Jahren auch tragen kann. Ich bin schon immer mit den Älteren mitgelaufen und habe mit älteren Jahrgängen zusammengespielt. Das ist die handballerische Ebene natürlich, aber dementsprechend zieht die Persönlichkeit auch nach. Ansonsten habe ich das Elternhaus, das mich schon immer unterstützt und das auch schon handballerisch alles erlebt hat. Ich hatte ja die Vorbilder direkt zuhause.
Ihre Großmutter war DDR-Nationalspielerin, Ihr Opa DDR-Oberligaspieler im Fußball. Ihre Mutter wurde sogar mit dem DHB Handball-Weltmeisterin 1993, Ihr Vater spielte in der Handball-Bundesliga. Gibt es bei den Bölks noch andere Themen als den Sport?
Na klar, das auf jeden Fall. Aber man muss schon sagen, dass die Familie nach wie vor gerne Sport schaut und natürlich auch meine Aktivitäten verfolgt. Das Leben hat aber auch noch ein paar andere Aspekte zu bieten. Da bin ich glaube ich auch ein anderer Typ. Ich komme nicht aus der Halle und schalte Sportsendungen an.
Was sind Ihre größten Stärken auf dem Platz?
Wenn man an mich denkt, hat man wohl als erstes die Rückraumgefahr aus weiterer Distanz im Kopf. Ich glaube, dass ein großer Pluspunkt meine Variabilität ist: dass ich ins Eins-gegen-eins gehen, mit dem Kreis und vorne sowie hinten spielen kann. Dass ich Spielverständnis habe und nicht nur zum Werfen da bin, sondern auch selber mitdenke, was wir als nächstes brauchen könnten.
Wenn man aus Buxtehude kommt, welchem Fußballverein drückt man dann eigentlich am ehesten die Daumen?
Das ist schwierig. Im Handball könnte ich es direkt sagen. Ich habe eine persönliche Verbindung zu Dominik Axmann vom HSV Hamburg, wir sind wie Geschwister miteinander aufgewachsen. Da fiebere ich natürlich mit. Früher war ich beim Fußball häufiger beim HSV als bei St. Pauli. Mittlerweile fühlen sich viele enge Freunde zu St. Pauli hingezogen, deswegen sage ich jetzt mal: St. Pauli.
Über Buxtehude landeten Sie beim Thüringer HC und gingen 2020 zu Ferencvaros Budapest, Sie wurden dort einmal Meister und einmal Pokalsieger. Was ist im Vergleich zu Deutschland anders in einem ungarischen Handballverein?
Mich haben die professionellen Rahmenbedingungen beeindruckt. Wir haben eine eigene Arena, in die man Tag und Nacht per Fingerprint oder Karte reinkommt. Wir haben eine Sauna in der Kabine, zwei Masseure, ein Fitnessstudio nur für uns. Im Staff sind ein Athletikcoach und ein Ernährungsberater. Die meisten Handballerinnen sind in Ungarn Profis. Das Ansehen - auch medial - ist höher. In Budapest wird man als Handballerin durchaus auch mal in der Stadt angesprochen.
Fiel die Integration schwer? Gerade die Sprache ist herausfordernd, oder sind Sie schon fit im Faktiv-Translativ und im Essiv-Modal?
Ich habe schon in Deutschland mit einem Online-Lehrer geübt und die Basics gelernt. Davon habe ich auch profitiert - die Ungarn finden es einfach mega, wenn man auch nur versucht, die Sprache zu sprechen. Hauptsprache im Training und abseits davon ist auch ungarisch.
Am 5. November bestreitet das DHB-Team gegen Polen sein erstes EM-Gruppenspiel, zudem geht es gegen Montenegro und Spanien. Wie bewerten Sie die Gegner und was ist generell drin für Ihr Team?
Wenn man unsere Gruppe anschaut, gibt es fast so etwas wie eine kleine Staffelung. Polen ist vermeintlich der schwächste Gegner, wobei man das auch nicht sagen kann. Es ist ein relativ junges Team mit sehr starken Rückraumshooterinnen. Dann Montenegro als Gastgeber, das wird ein absolutes Kampfspiel vor einer wahrscheinlich vollen Arena, sehr hart und sehr unangenehm. Und mit Spanien kommt dann der wohl stärkste Gegner, da haben wir auch noch eine Rechnung offen vom letzten Jahr, als wir im WM-Viertelfinale gescheitert sind. Es wäre überragend, wenn wir mit null Verlustpunkten in die Hauptrunde gehen. Dann wäre natürlich vieles möglich.
Seit April ist Markus Gaugisch neuer Bundestrainer. Was zeichnet ihn aus?
Er kann uns taktisch und handballerisch nochmal neuen Input geben und bisher gehe ich da auch absolut mit. Er bringt richtig gute Ideen mit rein, so dass wir gerade im Angriff im Vergleich zum letzten Jahr unser Potenzial mehr ausschöpfen können. Ansonsten ist er ein super kommunikativer Mensch, der eine sehr angenehme Atmosphäre schafft und sehr klar ist in dem, was er möchte. Ich habe ein gutes Gefühl.
Gaugisch musste nun auch die Vorfälle rund um André Fuhr moderieren und erklärte jüngst, man habe innerhalb der Mannschaft ausführlich darüber gesprochen. Wie verlief das Gespräch aus Ihrer Sicht?
Das Thema wird sehr offensiv angegangen. Jeder, der Bedarf hat, darüber zu sprechen, kann das tun. Ich finde es sehr wichtig, dass wir dem Ganzen genug Raum geben. Die betroffene Seite hat die Chance, sich zu äußern und ihre Hinweise für die Zukunft zu geben, was wichtig ist und wird. Aber wir merken auch, dass der DHB sehr aktiv ist, die Aufarbeitung in die Gänge zu bringen und eine externe Kommission zusammenstellt. Ich bin in gutem Austausch mit DHB-Präsident Andreas Michelmann und kann der Mannschaft Rückmeldung geben. Es ist aber kein Thema, das uns ablenkt. Wir können uns auf das Handballerische fokussieren. Zu wissen, dass im Hintergrund die Arbeit stattfindet, die auch erwünscht wird, gibt uns ein gutes Gefühl.
Der "Spiegel" schrieb, dass Fuhrs Methoden innerhalb der Handball-Szene längst bekannt waren. Hatten Sie auch schon Gerüchte über Mobbing gehört, ehe die Sache publik wurde?
Tatsächlich war ich nie unter André Fuhr aktiv, aber klar ist auch, dass immer wieder Gerüchte aufgetreten sind. Dementsprechend waren da mit Sicherheit über Jahre Signale, die aber auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Vereinen nicht wahrgenommen oder gehört wurden. Es gilt nun aufzuarbeiten, wo genau die Haken oder die Fallstricke waren und wo man früher hätte intervenieren können.
Sie haben viel dafür getan, dass der Frauen-Handball positiv wahrgenommen wird. Ärgert es einen, dass er nun wegen dieser Sache in den Schlagzeilen steht?
Ich finde es eher sehr bewundernswert, welchen Mut die Mädels gefasst haben, um jetzt - auch gegen anfangs viel Gegenwind und Shitstorm - an die Öffentlichkeit zu gehen. Der Weg war mit sehr viel Risiko behaftet, kurzzeitig hatten sie keinen Verein und wussten nicht, ob sie noch einen finden. Man muss vor einer EM Spielpraxis sammeln, damit man in Topform ist. Es ist wichtig, dass es nun auch medial so eine Präsenz bekommen hat. Dementsprechend bin ich stolz auf die Mädels und versuche zu unterstützen. Ich wünsche mir aber, dass, wenn wir bei der EM eine gute Performance zeigen, wir auch sportlich die mediale Wertschätzung bekommen, die der Frauen-Handball verdient.
Interview: Christoph Laskowski