13.07.2021, 10:00
Weltmeister von 2007 im Gespräch mit dem kicker
Nach seinem völlig überraschenden Comeback ist Henning Fritz (46) zurück im Ruhestand. Im kicker-Interview spricht der Weltmeister von 2007 über Kiel, Flensburg, Probleme in Melsungen und die Nationalmannschaft.
Die Liste seiner Erfolge ist lang. Alleine mit der Nationalmannschaft gewann Henning Fritz 2004 Olympia-Silber, im gleichen Jahr die Europameisterschaft und drei Jahre später den WM-Titel. Dazu kommen vier deutsche Meisterschaften mit dem THW Kiel sowie der Champions-League-Triumph 2007 mit den Zebras. Im Erfolgsjahr 2004 wurde der charismatische Torhüter zudem als Deutschlands Handballer des Jahres und Welthandballer des Jahres ausgezeichnet. 2012 hatte er nach 235 Länderspielen dann genug und hängte seine Handballschuhe an den Nagel - bis ihn neun Jahre später ein Anruf aus Flensburg erreichte.
"Ich musste erstmal nachfragen, ob das jetzt ein Scherz ist", gestand Fritz in der Sendung "DHBspotlight" am vergangenen Mittwochabend in Herzogenaurach. Doch die SG wollte wirklich und auch Fritz fühlte sich fit genug, was für ihn der "ausschlaggebende Punkt" gewesen sei.
kicker: Herr Fritz, plötzlich nochmal mittendrin: Wie haben Sie den unglaublich spannenden Meisterschaftskampf in der Bundesliga erlebt?
Henning Fritz: Es war natürlich viel Dramatik dabei, ich habe ja noch acht Spiele für Flensburg spielen dürfen. Nachdem der THW in Magdeburg verloren hatte, konnten wir aus eigener Kraft noch Meister werden. Auch wir mussten dann aber der langen Saison Tribut zollen, hatten viele Verletzungsprobleme. Im Spiel gegen Berlin, die topfit und mit einem breiten Kader in diese Partie gegangen sind, haben die Füchse alles in die Waagschale geworfen und zu Recht gewonnen. Dass es nochmal so eng werden würde am letzten Spieltag, hatte ich nicht erwartet. Die Löwen haben nach einer durchwachsenen Saison dem THW richtig Paroli geboten, was in uns kurzfristig nochmal große Hoffnungen geweckt hat. So wie es dann ausging, war es schon sehr dramatisch, vor allem für die Spieler, die jetzt gut elf Monate am Stück diese Saison gespielt haben. Für mich persönlich war es eine unglaublich tolle Erfahrung, dass ich das in der Form nochmal so miterleben durfte.
Beschreiben Sie kurz die Situation und Stimmung, als Sie am letzten Spieltag die noch laufende Partie in Mannheim auf den Bildschirmen verfolgt haben. Der Wurf von Andy Schmid hätte genauso gut im Tor landen können.
Ich habe selber nicht mehr auf den Monitor geguckt, ich wollte mich überraschen lassen. Ich wollte mir diesen nervlichen Druck nicht antun. Als unser Spiel noch lief, haben wir im Hintergrund schon gesehen, dass die Leute gar nicht mehr aufs Feld geschaut, sondern auf den Smartphones das Spiel in Mannheim verfolgt haben. Du hast schon gemerkt: Da ist noch was drin. Zeitweise haben die Löwen ja auch geführt. Auf der Bank wurde es auf einmal unruhig, weil unser Spiel gegen Balingen schon recht klar war. Was dramatisch ist: Dass sich so eine lange Saison innerhalb von zehn Minuten entscheidet. Wenn man aber alles zusammenrechnet, wurde der THW verdientermaßen Meister. Sie haben mehr Tore geworfen, hatten das bessere Torverhältnis und den direkten Vergleich gewonnen. Die Moral in Flensburg, in allen Bereichen, ist aber herauszuheben. Wie sich zum Beispiel Jim Gottfridsson im letzten Auswärtsspiel gegen Erlangen mit dick bandagiertem Fuß nochmal aufs Spielfeld geschleppt hat, war symptomatisch. Die Leistung der SG verdient meinen allergrößten Respekt.
Sie haben einst in Kiel gespielt, jetzt in Flensburg und haben damit den Direktvergleich. Was unterscheidet die Arbeit?
Beide Mannschaften haben in den letzten Jahren sehr professionell gearbeitet. Zwar mit unterschiedlichen Budgets, aber beide können national wie international jeden schlagen. Den kleinen Vorteil, den ich für die Zukunft bei Flensburg sehe, ist der Altersdurchschnitt. Sie können, wenn sie sich punktuell verstärken, in dieser Konstellation noch einige Jahre zusammenspielen.
Eine dauerhaft umstrittene Stellung in der Bundesliga hat die MT Melsungen. Was halten Sie von dem Projekt in Nordhessen?
Erstmal ist es unglaublich wertvoll, dass sich eine Unternehmerin dem Handball so verschrieben hat. Sie steckt da so viel Leidenschaft und Engagement rein. Auch die wirtschaftliche Unterstützung ist richtig gut für unsere Sportart. Ich wünsche mir aber, dass die MT Melsungen im Meisterkampf wesentlich mehr eingreift. Wir brauchen oben diesen Wettbewerb, um mehr Vielfältigkeit und Qualität zu kriegen. Da ist mir die MT mit Blick auf die Punkte viel zu weit von der Spitzengruppe weg (35 Minuspunkte am Saisonende, THW und SG hatten acht, d.Red.). Die Qualität ist eigentlich da, man muss den Kader vielleicht punktuell verstärken. Man braucht einen Trainer mit einem klaren Konzept, das über eine gewisse Zeit verfolgt wird, dass nicht zu viel verändert wird. Wenn wir im Vergleich Kiel und Flensburg sehen, da ist eine Kontinuität da. Das ist mein Wunsch für die Liga, dass sie die Topmannschaften irgendwann angreifen.
Die erste Zeit als Bundestrainer für Alfred Gislason war alles andere als leicht. Am Wochenende hat er - und da schon 16 Monate im Amt - pandemiebedingt die ersten Länderspiele vor Zuschauern erlebt. Wie bewerten Sie seine bisherige Ära?
Es ist schon tragisch, dass es gleich zu Beginn nicht zum Debüt in Magdeburg gekommen ist. Eine Stadt, in der er so erfolgreich gearbeitet hat, die Fans dort hätten ihn auf Händen getragen. Auch eine sportliche Bewertung ist bislang schwierig. Die Fähigkeiten von Alfred sind unbestritten, das hat er in Magdeburg und Kiel gezeigt. Er hat die Erfahrung und innere Ruhe, er muss niemandem etwas beweisen. Ich glaube, dass das wichtige Komponenten sind, die ihn befähigen, dieses Amt erfolgreich auszufüllen.
In welchen Punkten hat die Mannschaft unter Gislason am schnellsten dazugelernt? Wo ist die meiste Luft nach oben?
Wir haben Individualisten, die auf internationalem Parkett schon gezeigt haben, was sie können. Alfred hat eine Philosophie und auch die Spieler nominiert, die zu dieser passen. Bei einem Turnier wie Olympia ist es aber vor allem wichtig, für Atmosphäre zu sorgen. Dass jeder Spieler, der dabei ist, seine Rolle findet. Alfred hat die Lockerheit und Leichtigkeit, das gut auszufüllen. Ich sehe den Bedarf auf der Spielmacher-Position. Da haben wir mit Weber und Knorr gute Leute, aber niemanden, der das auf Vereinsebene auch international auf Topniveau spielt. Das haben andere Spitzennationen schon, das ist ein kleiner Unterschied. Beide haben das Potenzial, aber gerade bei Olympia geht es um Kontinuität.
Kontinuität ist auch das Stichwort bei den Torhütern: Andreas Wolff ist bei den letzten großen Turnieren nie mehr wirklich an sein Leistungsmaximum gekommen. Statt auf Silvio Heinevetter zu setzen, rückte Johannes Bitter mit seinen 38 Jahren wieder in den Fokus. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im deutschen Tor?
Die Situation ist spannend. Am wenigsten Druck hat Jogi Bitter. Die Frage auch da ist: Wie geht man mit entsprechendem Druck um? Wie äußert man sich in der Öffentlichkeit? Welche Erwartungen werden an solchen Aussagen geknüpft? Das ist, glaube ich, die große Herausforderung. Dass wir auf dieser Position sehr gut besetzt sind und dass alle drei Torhüter das Potenzial haben, alle Gegner mit herausragenden Leistungen zu ärgern, dem sind wir uns bewusst. Man hätte darüber diskutieren können, ob man drei erfahrene Torhüter mitnimmt oder nicht vielleicht einen jungen. Diesem hätte man die Chance geben können, die Atmosphäre bei Olympia zu schnuppern. Darüber kann man reden, aber die Nominierung wirft keine Fragen auf.
Sorgen braucht man sich auf dieser Position sicherlich nicht machen. Till Klimpke hat in Wetzlar tolle Leistungen gezeigt, Finn Zecher für Lemgo ein herausragendes Pokalfinale gespielt. Wer von den Talenten ist Ihrer Meinung nach am weitesten?
Christopher Rudeck haben wir noch beim BHC. Ich will mich da auf keinen festlegen. Mein Vorschlag: ausprobieren. Wer hat zuletzt stabile Leistungen abrufen können und ist gut in Form? Diesem Torhüter kann man dann die Möglichkeit geben, das auch in der Nationalmannschaft zu zeigen.
Auch mit Blick auf die schwere Gruppe: Wie lautet Ihre Prognose für Olympia?
Bei Olympia gibt es keine leichten Gegner. Wenn wir eine Medaille holen wollen, dann triffst du irgendwann auf Frankreich oder Norwegen. Ob in der Vorrunde oder später, das ist egal. Die deutsche Mannschaft ist aus meiner Sicht so gut aufgestellt, dass es ein Ziel sein sollte, um eine Medaille mitzuspielen.
Manchem Experten fehlt es im DHB-Team an Typen. Gerade wenn Sie einen Vergleich zu 2007 ziehen - sehen Sie das auch so?
Nein, das sehe ich nicht so. Wir haben verschiedene Charaktere, die auch notwendig sind, um Atmosphäre und Leistung zu erzielen. Wir haben genügend Typen, die auch in ihren Vereinen Führungspositionen einnehmen und das auf dem Feld durch Leistung untermauern.
Abschließend: Wie haben Sie die Fußball-EM verfolgt und was sagen Sie zum Abschneiden der deutschen Mannschaft?
So richtig Atmosphäre ist nicht aufgekommen. Vor allem der Abstand zwischen den Spielen. Ich weiß, die Jungs brauchen Regeneration, aber so kam nie wirklich EM-Flair auf. Der Funke ist nicht so richtig von der Mannschaft auf die Fans übergesprungen. Deswegen ist die EURO nicht so präsent gewesen, wie ich es in vielen Jahren davor erlebt habe.
Interview: Maximilian Schmidt