11.08.2024, 10:00
Ein Finale mit Geduld und der Parade von Wieland Schmidt
Vor 44 Jahren, am 30. Juli 1980, gewann die Männer-Nationalmannschaft der DDR die Olympische Goldmedaille im Handball. Nicht nur Trainer Paul Tiedemann, auch die Spieler sollten Ikonen ihrer Sportart werden. Ein Rückblick auf das bislang einzige Handball-Gold für Deutschland bei Olympia.
Es war das Olympiafinale 1980 von Moskau, die DDR war krasser Außenseiter gegen den großen Favoriten und Gastgeber Sowjetunion - aber am Ende sicherte Wieland Schmidt mit einer grandiosen Parade gegen den heranstürmenden Alexander Karschakewitsch mit dem Schlusspfiff den 23:22-Sieg nach Verlängerung, nach 60 Minuten eines dramatischen Endspiels hatte es 20:20 gestanden. Der letzte Wurf prallte von Schmidts Unterarm an die Latte, und von dort zurück ins Feld.
Im Sonderpodcast des Deutschen Handballbunds ließ Wieland Schmidt im Jahr 2020, also 40 Jahre danach, noch einmal alle Ereignisse von Moskau Revue passieren. "Wenn ich an dieses Spiel, und speziell die Siegerehrung denke, bekomme ich jetzt noch Gänsehaut", sagt Schmidt. Die westliche Welt hatte die Spiele in Moskau boykottiert, die westdeutschen Handballer um Heiner Brand durften den Traum von Olympiagold zwei Jahre nach dem WM-Titel von Kopenhagen nicht leben.
Doch da war ja noch die DDR: "Wir waren definitiv nicht der Goldfavorit", sagt Wieland Schmidt. "Schon der Finaleinzug gegen die übermächtigen Sowjets war ein Riesenerfolg für uns, damit hatte niemand gerechnet." In der Vorrunde gab es ein Remis gegen Ungarn (14:14) sowie Siege gegen Spanien (21:17), bei dem das DDR-Team zur Pause allerdings mit drei Toren zurück lag, Kuba (27:20), Dänemark (24:20) und Polen (22:21).
Dass die DDR-Auswahl mit Legenden wie Peter Rost, Lothar Doering, Ingolf Wiegert oder Frank-Michael Wahl es ins Endspiel schaffte, lag auch an der Stirn von Schmidt. Mit dem Schlusspfiff des entscheidenden Vorrundenspiels gegen Polen wehrte er mit dem Kopf einen Strafwurf des späteren Olympia-Torschützenkönig Jerzy Klempel (insgesamt 44 Treffer) ab. "Ich bekam den Wurf volle Wucht gegen die Stirn, die Schmerzen waren es aber wert", berichtet Schmidt im DHB-Podcast vom alles entscheidenden 22:21-Erfolg.
Für das Finale hatten Trainer Paul Tiedemann und sein Assistent Klaus Langhoff eine einfache Taktik parat: "Wir müssen nur Geduld haben. Wenn wir nach 40 Minuten immer noch dran sind, werden die Sowjets hektisch." Genau so kam es. "Wir hatten ja nichts zu verlieren", sagt Schmidt: "Und am Ende waren die Sowjets trotz der vollen Halle so nervös, dass wir sie geschlagen haben. Das war der schönste Tag meines sportlichen Lebens, von den Emotionen vielleicht noch vergleichbar mit meiner Hochzeit."
Schon nach dreißig Sekunden brachte Lothar Doering die DDR-Auswahl in Führung. In der dritten Minute hielt Wieland Schmidt den ersten Siebenmeter gegen Anpilogow, ein Start nach Maß für den Außenseiter. In der Folge konnte der Favorit aber die Führung übernehmen, die aber nie mehr als zwei Tore betrug. Auch dank des sicheren Rückhalts Wieland Schmidt, der zwischen den Pfosten eine glänzende Partie zeigte, ging es mit einem 10:10 Unentschieden in die Kabinen.
In der Verlängerung hatte dann die Mannschaft von Paul Tiedemann die größeren Reserven. Zwar geriet die Mannschaft der DDR noch einmal in Rückstand, doch Wahl, Krüger und Beyer sorgten dann für die erste Zwei-Tore-Führung der DDR in der Begegnung. In der letzten Minute aber bot sich den Sowjets in doppelter Überzahl noch einmal die Chance. Anpilogow schaffte per Strafwurf den Anschlußtreffer und in den Schlußsekunden bewegte sich Karschakewitsch unbedrängt auf Wieland Schmidt zu. Doch dieser lenkte den Ball mit dem Unterarm an die Latte und machte so die Sensation perfekt.
Olympiafinale am 30. Juli 1980:
DDR: Wieland Schmidt (SC Magdeburg), Siegfried Voigt (SC Leipzig) - Hans-Georg Beyer (ASK Frankfurt/Oder/2), Peter Rost (SC Leipzig/4), Lothar Doering (SC Leipzig/3), Günter Dreibrodt (SC Magdeburg), Ernst Gerlach (SC Magdeburg), Dietmar Schmidt (ASK Frankfurt/Oder), Klaus Gruner (SC Leipzig), Rainer Höft (SC Dynamo Berlin), Hans-Georg Jaunich (SC Empor Rostock), Hartmut Krüger (SC Magdeburg/6/5), Frank-Michael Wahl (SC Empor Rostock/5), Ingolf Wiegert (SC Magdeburg/3)
Andreas Michelmann, der Präsident des DHB, erinnert sich ebenfalls so gut an das Finale, als ob es gestern gewesen wäre: "Ich war seinerzeit bei der Armee, und wir schauten uns das Endspiel gemeinsam an. Im Kopf fest eingebrannt ist natürlich die Schlussszene, als Wieland Schmidt sich nach seiner Parade den Ball schnappte, durch die Halle rannte und schließlich in Richtung eines sowjetischen Kameramanns warf, der ihn zuvor bei jedem Gegentreffer angegrinst hatte. Ich denke, jeder, der damals zusah, wird sich an diese Sekunden erinnern."
Nach dem Feldhandball-Gold bei Olympia 1936 in Berlin stellte der Erfolg von Moskau den bislang einzigen Titel einer deutschen Hallenhandball-Mannschaft unter den fünf Ringen dar. Für den DHB-Präsidenten ist zudem sehr wichtig, dass die handballerischen Erfolge der BRD, der DDR und von Gesamt-Deutschland auf einer Stufe stehen: "Weltmeister der Männer 1978 und 2007, Olympiagold der DDR-Männer 1980, die drei WM-Titel der DDR-Frauen und dann der WM-Titel der Frauen von 1993 sind historische Momente für Ost und West", betonte Michelmann angesichts des Jubiläums im Jahr 2020.
Alle DDR-Länderspiele werden für den "Club 100" des Deutschen Handballbunds gewertet werden, zu dem alle Spielerinnen und Spieler mit 100 und mehr internationalen Einsätzen eingeladen sind. "So ist Frank-Michael Wahl, einer der 1980er Olympiasieger auch Rekordspieler und Rekordtorschütze des DHB", sagt Michelmann. Wahl teilt indes die Meinung des DHB-Präsidenten: "Unser Gold von 1980 ist genau so viel wert wie der WM-Erfolg 1978 der BRD in Dänemark. Nach der Wende haben sich manche schwer getan, die Erfolge der DDR anzuerkennen. Aber das ist vorbei. Jetzt sind beide Titel in einem Topf", sagte Wahl schon vor einigen Jahren.
Die DDR-Spieler wurden überall herumgereicht, "von der Botschaft bis zum Kreml", erinnerte sich Ingolf Wiegert unterdessen an die Feier. "Der Triumph in der Höhle des Löwen ist immer noch der schönste meiner Karriere", erklärte Frank-Michael Wahl. Nach dem Olympiasieg wurde Wahl in Rostock auf dem Universitätsplatz von der Bevölkerung zusammen mit 400-Meter-Olympiasiegerin Marita Koch begeistert gefeiert. "Die Euphorie war riesig. Da habe ich erst gemerkt, was wir geleistet haben", erinnerte sich Wahl.
Michelmann lobte zudem vor allem die Leistung des damaligen Trainers Paul Tiedemann. "Er ist auf jeden Fall ein Kandidat für die Hall of Fame des deutschen Sports." In dieser fehlen die Olympiasieger von 1980 allerdings. "Frank-Michael Wahl, als Rekordnationalspieler und Ehrenkapitän des DHB, der auch als Trainer in Hameln unterwegs war, oder Leute mit Lothar Doering, der als Spieler Olympiasieger wurde und als Bundestrainer unsere DHB-Frauen zum WM-Titel führte, gehören einfach in die Hall of Fame", forderte Schmidt bereits vor Jahren.
Die 1980-Olympiasieger durften übrigens wegen des Boykotts der damaligen Warschauer-Pakt-Staaten der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles nicht um die Titelverteidigung kämpfen. Am Ende gewann die Bundesrepublik, die 1980 aufgrund des Boykotts der westlichen Länder gefehlt hatte, Silber hinter Jugoslawien. Silber gab es auch 2004, Bronze 2016.
Name | Jhg. | Verein |
---|---|---|
Wieland Schmidt | 1953 | SC Magdeburg |
Siegfried Voigt | 1950 | SC Leipzig |
Peter Rost | 1951 | SC Leipzig |
Klaus Gruner | 1952 | ASK Vorwärts Frankfurt/Oder |
Günter Dreibrodt | 1951 | SC Magdeburg |
Lothar Doering | 1950 | SC Leipzig |
Dietmar Schmidt | 1952 | ASK Vorwärts Frankfurt/Oder |
Rainer Höft | 1956 | SC Dynamo Berlin |
Hartmut Krüger | 1953 | SC Magdeburg |
Hans-Georg Beyer | 1956 | ASK Vorwärts Frankfurt/Oder |
Frank-Michael Wahl | 1956 | SC Empor Rostock |
Ingolf Wiegert | 1957 | SC Magdeburg |
Ernst Gerlach | 1947 | SC Magdeburg |
Hans-Georg Jaunich | 1951 | SC Empor Rostock |
Paul Tiedemann | 1935 |
cie, mit Material DHB, dpa und alf