28.01.2025, 17:00
Deutschlands WM-Gegner in der Analyse
Portugal ist bislang DAS Überraschungsteam dieser WM, der Viertelfinal-Sieg gegen Deutschland ist der letzte Beweis. Die beeindruckende Entwicklung hat mehrere Gründe. Einer liegt fast vier Jahre zurück.
Es gibt in Portugal drei große Zeitungen, die sich zwar Sportzeitungen nennen, aber im Prinzip nur über eine Sportart berichten: Fußball. Sie heißen "Record", "A Bola" und "O Jogo" und sie erscheinen täglich, sogar am Sonntag, auf der Titelseite steht dann meistens irgendetwas über Benfica, Sporting oder den FC Porto, manchmal auch über Cristiano Ronaldo.
Der Rest? Ist Nebensache. Meistens findet sich auf den hinteren Seiten noch irgendetwas über andere Sportarten, aber bis dahin haben viele Portugiesen die Zeitung längst schon wieder weggelegt. Bis nach dem spektakulären Viertelfinal-Sieg gegen Deutschland Außergewöhnliches passierte.
Fast alle großen Blätter druckten Portugals Nationalteam auf ihrer Titelseite ab: Der Handball verdrängte sogar den Fußball, nicht mal der Champions-League-Sieg von Benficas Fußballern bei Juventus Turin war an diesem Mittwoch wichtiger. "Stolz und Geschichte", etwa schrieb "O Jogo" zu einem großen Foto der beiden Brüder Francisco und Martim Costa.
Historisches haben die Portugiesen tatsächlich schon jetzt erreicht, denn nie sind sie bei einem Turnier weiter gekommen. Im Halbfinale gegen Titelverteidiger Dänemark am Freitag träumen sie nun sogar von noch Größerem.
Wie also haben die Portugiesen es überhaupt soweit geschafft? Warum konnten sie Mitfavoriten wie Schweden, Norwegen, Spanien und nun auch Deutschland ausschalten? Wer sind die Architekten hinter dem Aufschwung der "Helden der Meere"? Und was hat das alles mit einem tragischen Ereignis vor fast genau vier Jahren zu tun?
Es ist am heutigen Donnerstag 1434 Tage her, dass Portugals Nationaltorwart Alfredo Quintana nach einem Herzinfarkt im Alter von nur 32 Jahren verstarb.
Quintana war nicht nur ein Torhüter von internationalem Top-Format, sondern für viele seiner Mitspieler auch Mentor und Vorbild. Sein Tod erschütterte die Handball-Welt, aber er einte auch eine zuvor nicht immer ganz geeinte Mannschaft.
Portugals Supertalent Francisco "Kiko" Costa kommen noch heute die Tränen, wenn er auf Quintana angesprochen wird. "Seit ich klein bin, bist du für mich da. Ich will, dass du weißt, dass ich jetzt für dich da bin", hatte der heute 19-Jährige kurz vor Quintanas Tod zu einem gemeinsamen Foto auf Instagram geschrieben.
Nicht wenige Spieler hatten eine ähnlich enge Beziehung zum Torhüter. Heute noch widmen viele Nationalspieler ihre Siege dem früheren Freund.
Stimmung und der Zusammenhalt innerhalb des Teams sind nicht nur deshalb so gut wie nie. Nach dem Viertelfinal-Einzug posteten mehrere Nationalspieler in den sozialen Medien Fotos von der gesamten Mannschaft.
Darauf zu sehen: nicht nur alle Spieler, sondern auch Trainer, Betreuer, Freundinnen und Frauen. Das Signal dahinter: Wir sind eine Einheit. "Familie Portugal", schrieb Spielmacher Rui Silva. "Wir wollen mehr."
Neben dem positiven Teamspirit als Basis bildet Sporting Lissabon die Achse dieser Mannschaft. Sechs Profis aus dem 18er-Kader stehen beim portugiesischen Meister unter Vertrag, darunter einige der wichtigsten Feldspieler.
Die wurfgewaltigen Brüder Martim (linker Rückraum, 33 Tore) und Kiko Costa (rechter Rückraum, 36 Treffer) konnten bisher von keiner Abwehrreihe ausgebremst werden, auch die bisher ebenfalls starken Salvador Salvador und Pedro Portela spielen für Sporting.
Die Costa-Brüder genießen im Nationalteam die Freiheiten, die sie auch im Club unter ihrem Vater und Trainer Ricardo Costa genießen. Sie zu stoppen, wird eine der schwersten Aufgaben für die deutsche Mannschaft sein.
Aber nicht die einzige. Ihre zweite größte Waffe ist das Kreisläufer-Spiel. Vor allem Luis Frade (FC Barcelona) und Victor Iturriza (FC Porto) sind alles andere als leicht zu verteidigen, werden von Rui Silva immer wieder mit cleveren Anspielen gefunden.
Hinter all dem steht Nationaltrainer Paulo Pereira, der seit 2019 trotz verschiedenster Rückschläge Stück für Stück am Wachstum dieses Teams gebastelt hat. "Wenn ich mir das bisherige Turnier anschaue und all die Mannschaften, die wir hinter uns gelassen haben, verstehe ich erst, was wir hier Unfassbares leisten", sagte der 59-Jährige nach dem Viertelfinal-Einzug. "Ich bin sehr stolz". Vielleicht wird am Freitagabend sogar noch stolzer sein.
Nils Bastek