11.11.2024, 19:30
Aus dem Magazin "Bock auf Handball"
Für die Handball-Welt ist er "nur" einer der Schiedsrichter, die in Berlin, Eisenach oder Leverkusen auf dem Feld stehen, doch Simon Reich hat deutlich mehr Seiten. Für die im August erschienene 16. Ausgabe von "Bock auf Handball" zeigte der 39-Jährigen sieben Facetten seines Lebens.
Seit 2001 ist Simon Schiedsrichter, seit 2013 pfeift er gemeinsam mit Gespannpartner Hanspeter Brodbeck in der 1. Männer-Bundesliga.
Die Schiedsrichterei ist die große Passion von Hanspeter und mir. So, wie ein Spieler als Linksaußen auf dem Feld steht und der Trainer an der Seitenlinie zu Hause ist, ist unsere Position die des Schiedsrichters. Es ist unser Part in unserer Lieblingssportart und - auf unserem Niveau - in gewisser Weise auch unser Platz als Leistungssportler.
Ich bin unglaublich dankbar für alles, was ich durch das Pfeifen erleben und lernen durfte und ich bin stolz darauf, Schiedsrichter zu sein. Ich würde mir daher wünschen, dass die Schiedsrichterei in der Öffentlichkeit endlich als das betracht wird, was sie sein kann: Ein wunderbares Hobby mit dem Potential einer enormen Persönlichkeitsentwicklung. Eine Chance, Teil einer tollen Sportart zu sein. Und eine Möglichkeit, viel über und für sich selbst zu lernen.
Über 300 Spiele für den Deutschen Handballbund inklusive des Endspiels um den DHB-Pokal der Frauen 2022 sowie des Pokalfinalspiels der Männer 2024 und zehn Jahre 1. Bundesliga: Simon und Hanspeter gehören inzwischen zu den erfahrensten Schiedsrichtern in Deutschland.
Natürlich waren die Finalspiele im Pokal ebenso wie unsere erste Nominierung für das REWE Final4 2023 oder das Finale der Jugend-Europameisterschaft 2016 auf dem Papier die Highlights, aber ich mag das Etikett eigentlich nicht. Das hat den Beiklang, als würde man nur für diese Spiele pfeifen, aber das ist nicht so.
Ein Highlight kann auch ein ‚normales’ Bundesligaspiel sein, das einfach geil ist. Ich bin vorletztes Jahr für ein Spiel in der Bezirksklasse eingesprungen, das war auf seine eigene Weise auch ein Highlight und hat riesig Spaß gemacht. Für mich ist das Pfeifen einfach mein Hobby, das mir unglaublich Freude macht!
2014 kamen Simon und Julia zusammen, seit 2018 sind sie verheiratet. Für Bock auf Handball spricht Julia über ihren Ehemann.
Wenn Simon auf dem Feld steht, wirkt er von der Mimik total streng, aber so ist er eigentlich gar nicht. Simon ist witzig, bringt einen zum Lachen und auch mit den Kindern macht er gerne viel Quatsch. Er guckt immer nach vorne und ist ein Optimist. Er schafft es, sein Leben zu genießen.
Ich habe Respekt davor, wie er das alles - den Job, das Pfeifen und uns - managt. Das kostet sicherlich alles viel Zeit, aber er braucht die Aufgaben und die Abwechslung. Er weiß aber auch genau, wie er runterkommen kann. Er geht dann joggen, fährt eine Runde mit dem Cabrio oder gönnt sich Schokolade und Orangensaft als Mitternachtssnack. Danach kann er immer schlafen.
Inzwischen sind wir seit zehn Jahren zusammen, davon sechs Jahre verheiratet. Er hat mir ganz lange nicht geglaubt, dass ich damals den ersten Schritt gemacht habe. Wir kannten uns lose, weil er gemeinsam mit meinem Bruder konfirmiert wurde, aber nach einer zufälligen Begegnung in einem Café habe ich ihn auf Facebook "angestupst", so hieß das damals. Wir haben erst geschrieben und uns dann getroffen.
Er hat von Anfang erzählt, dass er viel Zeit und Energie in das Pfeifen steckt. Das erste Spiel von ihm habe ich in Mannheim gesehen; das war cool und ich war irgendwie auch stolz auf ihn. Wenn er jetzt auf dem Feld steht, bin ich aufgeregter als er. Beim Final Four in Köln war ich so nervös, dass Moritz - unser sechsjähriger Sohn - und ich auf falschen Plätzen gesessen haben.
Julia und Simon haben zwei Söhne: Der sechsjährige Moritz war im April beim REWE Final4 dabei, auch der drei Jahre jüngere Ben wirft die Bälle schon durch das Haus.
Ich will das, was mein Papa mir mitgegeben hat, an meine Söhne weitergeben. Er hat mich vieles selbst machen lassen - auch die Fehler -, aber war dabei immer für mich da. Er hat mir Rückendeckung gegeben und mich auf das Leben vorbereitet. Ich hoffe, das gelingt mir bei meinen Söhnen auch.
Dass wir Eltern sind, hat viel verändert und natürlich gehören auch Schlafmangel und keine Zeit für andere Themen dazu, aber Moritz und Ben zeigen mir immer wieder, wie einfach es sein kann, Freude am Leben zu haben. Sie gehen so offen und unbekümmert an viele Dinge heran und es fasziniert mich, wie unvoreingenommen Kinder sein können. Sie nehmen es so, wie es kommt.
Dass meine Jungs miterleben können, dass Hanspeter und ich in der Bundesliga pfeifen, ist mir wichtig. Es ist ein Privileg, das wir haben und das will ich den Jungs zeigen. Moritz war beim Final Four in Köln dabei und das Feuerwerk bei der Einlaufzeremonie, die Spidercam und die Pokalübergabe mit Konfetti waren toll. Und mir wurde erzählt, er sei auch sehr stolz gewesen, mich auf dem Feld zu sehen.
Ben wirft schon ziemlich gut und erzählt jede Woche, dass er zum Handball will, aber die Minis beginnen bei uns erst ab fünf Jahren. Für ihn ist es noch das Schönste, wenn er in der Halbzeit oder vor bzw. nach dem Spiel auf das große Spielfeld darf. Ich liebe es, wenn ich an handballfreien Wochenende Vollgas mit den Kids geben kann. Sie haben mir gezeigt, wie viel Spaß die Kindheit machen kann und ich werde selbst manchmal wieder zum Kind.
Die Elternhäuser von Simon und Florian Salzer lagen 50 Meter auseinander, bis heute sind sie gute Kumpel. Für Bock auf Handball spricht Florian über seinen Kindergartenfreund.
Simon und ich kennen uns buchstäblich seit dem Kindergarten, waren gemeinsam in der Grundschule und haben in den Minis zusammen mit dem Handball angefangen. Laut unserer Mütter haben wir uns anfangs nicht gemocht und erst nach einer gemeinsamen Strafarbeit, die dazu führte, dass wir uns geschlagen haben, war alles gut. Simon erzählt die Geschichte immer gerne.
Zwischendurch gab es in unserer Freundschaft immer wieder Phasen mit weniger Kontakt. Wir waren nicht auf der gleichen weiterführenden Schule, ich hatte für die Musik mit dem Handball aufgehört und dann war Simon viel mit dem Pfeifen unterwegs und hatte sein Studium, da musste man als Freund zurückstecken. Simon war immer sehr gefragt und musste sich auseinanderreißen, um allem gerecht zu werden.
Inzwischen sehen wir uns regelmäßig. Wir waren zusammen auf Mallorca (mehr möchte ich darüber nicht sagen) und wir wohnen auch beide immer noch in Metzingen. Wenn er nicht daheim ist, besuche ich Julia und die Kids manchmal alleine. Simon ist ein sehr ruhiger Mensch, der sehr bedacht ist - wenn auf Partys alle eskalieren, bleibt er ruhig. Als Schiedsrichter hat er eine ernstere Miene als sonst, wenn er sehr lustig ist. Wenn ich ihn mit einem Wort beschreiben müsste, würde ich sagen: Benutzerfreundlich (lacht).
Wenn sich die Möglichkeit ergibt, bin ich gerne beim Handball. Einmal haben wir uns mit mehreren Freunden Tickets für ein Spiel in Mannheim gekauft und sind hingefahren. Als wir gefragt wurden, für wen wir sind, haben wir gesagt: Wir haben keinen Favoriten, wir sind Fans der Schiedsrichter. Ich war auch mit Simon und Hanspeter schon in Berlin. Dort habe ich sie zu Five Guys geschleppt, das kannten sie damals nicht. Seitdem kriege ich immer Fotos, wenn sie da sind.
Dass er in die Automobilbranche will, war Simon familienbedingt früh klar; auch sein Vater und sein Bruder arbeiten in diesem Bereich. Heute ist Simon als Einkaufsleiter bei einem Automobilzulieferer tätig.
Ich bin vor neun Jahren direkt nach dem Studium zu meinem heutigen Arbeitgeber gekommen. Da ich mir über das Pfeifen das Studium finanziert habe, habe ich erst verhältnismäßig spät - mit 30 Jahren - angefangen zu arbeiten, aber das hat nie jemanden gestört.
Ich habe als strategischer Einkäufer angefangen und bin inzwischen Abteilungsleiter mit der Verantwortung für 30 Leute. Für Termine bei Lieferanten reise ich hin und wieder durch Europa, nach Asien oder Nord- oder Südamerika; das macht mir Spaß, weil ich gerne unterwegs bin. Mein Job und das Pfeifen wäre ohne Kompromisse im privaten Bereich nicht möglich und ich bin sehr dankbar, dass meine Familie mir diesen Spagat ermöglicht.
Die Schiedsrichterei wird im Jobumfeld positiv wahrgenommen, aber ich lasse nicht 'raushängen', dass ich Bundesliga pfeife. Meine Kolleginnen und Kollegen haben ebenfalls ihre Hobbys; ich will deswegen nicht anders wahrgenommen werden. Es hilft mir aber beruflich natürlich, denn das Pfeifen ist das beste Coaching für die eigene Persönlichkeitsentwicklung und wichtige Softskills wie den Umgang mit Druck, das Treffen von Entscheidung oder die Schärfung der Selbstreflexion, die man sich vorstellen kann.
Als Bundesliga-Schiedsrichter muss Simon ebenso wie alle Kolleg:innen regelmäßige Fitnesstests absolvieren, doch der Sport ist für ihn auch ein Ausgleich.
Ob Fahrrad fahren, Joggen oder Ski fahren: Ich bin gerne draußen und bewege mich. Im Golf habe ich die Platzreife gemacht. Auch Schwimmen und Tennis spielen machen mir großen Spaß und mit Kumpels gehe ich gerne kicken, wenn es zeitlich passt. Das ist ein super Ausgleich zum Büro.
Sport gehört seit meiner Kindheit zu meinem Alltag. Ich habe erst Turnen ausprobiert, doch das war kein Erfolg. Meine Mutter hat zu mir gesagt: Lass es! Stattdessen ging es ab zu den Handball-Minis. Das hat deutlich besser funktioniert und ich habe Handball gespielt, bis ich mit 27 Jahren wegen des Pfeifens aufgehört habe. Ich möchte die Zeit jedoch nicht missen, denn ich habe viele gute Freunde über den Sport kennengelernt.
Neben Familie, Job und Pfeifen bleibt nicht viel Zeit für Hobbys, doch ihren Reiz hat die Fotografie für Simon nie verloren. Aktuelles Kameramodell: Canon 5D Mark2
Die Fotografie hat mich immer fasziniert. Mein Vater hatte eine Spiegelreflexkamera und als Jugendlicher habe ich meinen ersten eigenen Fotoapparat bekommen. Die Kamera war dann natürlich auf Klassenfahrten dabei. Mir gefällt es, die richtigen Momente zu finden und festzuhalten. Die große Frage: Wann muss ich für das optimale Ergebnis auf den Auslöser drücken? Es ist ein bisschen wie beim Handball: Es sind Reaktionsschnelligkeit und Entscheidungsfreude gefragt.
Nachdem ich mir die erste digitale Spiegelreflexkamera mit Objektiven gekauft habe, hat ein Freund mir gezeigt, wie ich damit umgehen muss. Ich habe in erster Linie für mich fotografiert - nach einem Urlaub in New York bin ich mit 12.000 Fotos auf der Festplatte zurückgekommen. Als mich Freunde gefragt haben, habe ich aber auch ihre Hochzeit fotografiert und auch auf Familienfeiern habe ich die Kamera dabei, wenn ich Lust habe.
Es gibt aber auch immer wieder Phasen, in denen ich die Kamera monatelang nicht in die Hand nehme. Es ist das ideale Hobby, weil es keine Verpflichtungen mit sich bringt und ich frei entscheiden kann, wann ich zur Kamera greife. Es ist einfach nur eine Leidenschaft für mich. Das tut mir gut.
Highlights in Ausgabe 17
- mehr als 20 Seiten exklusiv mit Deutschlands bestem Torhüter Andreas Wolff
- Renars Uscins: Auf ein Kaffee mit Deutschlands größter Handball-Hoffnung
- David Späth: Mit einem emotionalen Feuerwerk an die Weltspitze
- Maxim Orlov: Ein Grenzgänger zwischen Potsdam und Berlin
- Marie Weiss: Auf der Überholspur
- Manuel Zehnder: Der Ruhige mit den ganz großen Zielen
- Florian Kehrmann: Zu Besuch beim Trainer des TBV Lemgo Lippe
- u.v.m. auf insgesamt 124 Seiten
Das wie handball-world zur kicker sportsworld gehörende Print-Magazin Bock auf Handball erzählt interessante Geschichten über die Stars des Handballs. Das Einzelheft gibt es für 8,50 Euro im gut sortierten Zeitschriftenhandel sowie im Online-Shop als Einzelheft - versandkostenfrei in Deutschland - und im Abo. Zudem gab es im vergangenen Jahr ein Sonderheft zum THW Kiel und eines zum Themenbereich Schiedsrichter im Handball.
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