11.11.2024, 12:30
Vielfältige Angebote im "Jahr des Schiedsrichters":
In der Saison 2023/24 rief der HV Niedersachsen-Bremen (HVNB) das "Jahr des Schiedsrichters" aus. Das Projekt wurde ein voller Erfolg - und wird nun teilweise fortgesetzt.
Der Stolz auf den eigenen Erfolg sprach aus jeder Zeile: "Großer Schiedsrichterzuwachs im 'Jahr des Schiedsrichters'", verkündete bereits die Überschrift, im Text war von einer "äußerst positiven Bilanz" und dem "überdurchschnittlichen Wachstum beim Schiedsrichternachwuchs" die Rede. Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass die Begeisterung durchaus gerechtfertigt war.
5.210 lizenzierte Schiedsrichter:innen zählte der HV Niedersachsen-Bremen zum Stichtag 30.06.2024. Das entspricht einem Zuwachs von 16,5 Prozent, oder, in absoluten Zahlen ausgedrückt: Der HVNB hat 736 Unparteiische mehr als zwölf Monate zuvor. In Zeiten des Schiedsrichtermangels ein beachtlicher Erfolg. Das Investment hat sich ausgezahlt, da ist man sich im Verband einig.
Am Anfang vom "Jahr des Schiedsrichters" stand der allgegenwärtige Schiedsrichter-Mangel. "Uns war klar, dass der Schuh im Schiedsrichterwesen drückt", erinnert sich Torben Streich, Referent für Mitgliederentwicklung im HVNB. "Wir haben echt viele Leute verloren." Alleine die Zeit der Corona-Pandemie kostete den Verband fast 1.000 aktive Schiedsrichter:innen, die Zahl sank auf rund 4.000 Unparteiische; Spiele mussten von den Vereinen besetzt werden.
"Die Corona-Zeit war ein Katalysator für die ohnehin negative Langzeitentwicklung", sagt Streich. "Wir wollten dagegen etwas tun; wir wollten das Schiedsrichterwesen unbedingt aufwerten und Menschen für das Pfeifen begeistern." Doch wie könnte man dieses Problem, dass so viele Vereine und Verbände immer wieder beschäftigt, angehen?
"Wir haben vom Ende her gedacht und eine Vision entwickelt", fasst Streich zusammen. In mehreren Runden entwarf man zwei große Ziele:
1. Am Ende des Jahres in jeder Region mehr Schiedsrichter:innen haben als am Anfang des Jahres.
2. Das Image der Schiedsrichter:innen und den Umgang mit den Schiedsrichter:innen positiver gestalten.
So entwickelte man im HVNB nach und nach einen Maßnahmenkatalog, der unter dem Motto "Deine Entscheidung. Aus Liebe zum Spiel" stand. Das Herzstück: Das flächendeckende Angebot einer einheitlichen Junior-Schiedsrichter-Ausbildung. "Das hat ganz konkret geholfen, junge Menschen neu an die Pfeife zu bringen", freut sich Streich.
Das Konzept war bereits vor dem "Jahr des Schiedsrichters" in der Region Hannover-Weser-Leine entstanden; der Verband adaptierte es, bot es in seinem ganzen Gebiet an und trug die Kosten für die Referenten. Im Rahmen der Ausbildung zum "Junior-Schiedsrichter" werden 14- bis 16-Jährige mit einer angepassten Ausbildung an den Schiedsrichterjob herangeführt und dürfen anschließend im Kinderhandball eingesetzt werden.
"Damit ist es gelungen, flächendeckend ein neues Angebot zu schaffen, dass es vorher so nicht gab", betont Streich. Allein in einer Region seien in diesem Rahmen 60 Junior-Schiedsrichter:innen ausgebildet worden; insgesamt waren es 386 im ganzen HVNB.
Das Portfolio war jedoch noch deutlich vielfältiger: Im Rahmen der Aktion "Basis trifft Spitze" wurden Basis-Schiedsrichterinnen mit den Unparteiischen der Erst- und Zweitligaspiele im HVNB zusammengebracht. "Das wird total honoriert und ist eine große Wertschätzung für unsere Unparteiischen", sagt Streich. Die Bundesligavereine unterstützten die Aktion mit vergünstigten oder sogar kostenfreien Tickets. Die Treffen sollen auch in Zukunft fortgesetzt werden, "denn wenn wir jetzt alles einstellen, würden wir von einem Einmaleffekt sprechen."
Eine Maßnahme, die ebenfalls weiter läuft: Die Vorstellung der Schiedsrichter:innen mit Portraitfotos auf der Verbandswebseite des HVNB. "Von jeder dritten oder vierten Männermannschaft findet man Fotos bei den Vereinen, diese Sichtbarkeit wollten wir auch den Schiedsrichtern geben", erklärt Streich. Zur laufenden Saison wurden die Portraitfotos aktualisiert.
Der HVNB begleitete im "Jahr des Schiedsrichters" zudem sein Schiedsrichter-Team Lena Gehrckens/Edgar Rot beim Spiel zwischen dem TV Cloppenburg und der HSG Delmenhorst; daraus entstand die Videodokumentation "Close to the Ref", die Einblicke in den Schiedsrichteralltag an einem Spieltag liefern soll. Zudem wurde monatlich ein "Schiedsrichter des Monats" ausgezeichnet, was ebenfalls für eine größere Sichtbarkeit der Unparteiischen sorgen sollte.
Der "Pfiff des Monats", der ebenfalls in dieser Saison fortgesetzt wird, zeigte zwölfmal jeweils eine knifflige Szene. "Wir wollten zeigen, wie eng die Entscheidungen sein können, die Schiedsrichter treffen müssen", erklärt Streich. "Außerdem konnten wir durch die regeltechnische Erklärung der Szene für ein besseres Regelverständnis sorgen."
Hinzu kamen noch verschiedene weitere Angebote wie eine digitale Toolbox, in denen Vereinen individuell gestaltbares Werbematerial zur Verfügung gestellt wurde, ein Rabattcode für die Bestellung von vergünstigter Ausstattung bei Schiedsrichterpartner Select und der Zugang für ein "Corporate Benefit Programm". Zudem wurde unter dem Titel "Unsere wichtigsten Neuzugänge" angeregt, frisch ausgebildete Schiedsrichter:innen an Heimspieltagen vorzustellen.
Doch genau an dieser Schnittstelle zeigte sich die größte Herausforderung in dem zurückliegenden Jahr: Die Einbindung der Vereine. Ob "Unsere wichtigsten Neuzugängen" oder die Toolbox: Die nach und nach angebotenen Werkzeuge wurden aus Sicht von Streich noch (zu) wenig abgerufen: "Für die Zukunft und ähnliche Projekte ist das unsere Kernfrage: Wie motivieren wir die Vereine, sich mit dem Thema Schiedsrichter über den Saisonalltag hinaus auseinanderzusetzen?"
Im HVNB hofft man, dass das Projekt vielleicht den ein oder anderen Nachahmer findet; im Frühsommer präsentierte der Verband das Konzept auf der Tagung der Schiedsrichterwarte und -lehrwarte in Halberstadt. Ein Problem könnten die Kosten sein, im Haushalt des HVNB war für das Projekt ein niedrig fünfstelliger Betrag eingeplant. "Der teuerste Punkt war allerdings die digitale Toolbox, die wir gemeinsam mit einer Agentur entwickelt haben", sagt Streich. Er will die Kostenfrage in der Diskussion hintenanstellen: "Damit wir vorankommen, ist es unheimlich wichtig, dass die Verbände über die normale Lizenzausbildung hinaus aktiv sind."
jun