11.11.2024, 11:30
Worauf kommt es im Schiedsrichter-Team an?
Er ist der einzige Freund, den ein Schiedsrichter auf dem Feld hat: Der eigene Gespannpartner. Was ist das wichtigste in einem Schiedsrichter-Team - und welche Tipps hat die deutsche Spitze für junge Duos?
Wenn jemand weiß, wie man erfolgreich zusammen pfeift, dann sie: In dem Jahr, als Martin Thöne und Marijo Zupanovic zusammen ihr erstes Spiel leiteten, wurden ihre jüngsten Kollegen im Elitekader gerade geboren. Seit 28 Jahren stehen die beiden Unparteiischen zusammen auf dem Feld; dass sie inzwischen getrennt voneinander in Bremen und Berlin wohnen, führte nicht zum Bruch. Kein Team in den höchsten vier Kadern des Deutschen Handballs pfeift länger zusammen als sie.
Was ist also der Schlüssel für den Erfolg der "Schiedsrichter-Ehe"?
Die Antwort ist ebenso klar wie einfach: Vertrauen. Für den "Tag des Schiedsrichters" hat handball-world nicht nur beim dienstältesten Gespann, sondern bei allen Schiedsrichter-Teams aus den vier höchsten deutschen Kadern nachgefragt, was für sie das Wichtigste ist - und keine Antwort fiel häufiger als das absolute Vertrauen, ineinander und in die Entscheidungen des Partners.
"100 Prozent Vertrauen in den anderen. Sowohl auf dem Feld als auch abseits muss man sich aufeinander verlassen können", sagen Marcus Hurst und Mirko Krag, die seit 2007 zusammen pfeifen. "Man muss als Einheit auftreten und darf sich durch keine äußeren Einflüsse auseinander dividieren lassen." Auch Leonard Bona und Malte Frank sind überzeugt: "Absolutes Vertrauen, da ansonsten Unstimmigkeiten auf der Platte entstehen."
Neben dem Vertrauen gibt es auch andere Schlüsselwörter, die immer wieder fallen: Freundschaft, gleiche Ziele, Loyalität, Spaß, Ehrlichkeit, ein gemeinsames Handballverständnis. "Einen gesunden Humor", nennen die frisch gebackenen EHF-Schiedsrichter Lucas Hellbusch und Darnel Jansen. "Es hilft ungemein, wenn man sich auf dem Platz genau so gut versteht wie neben dem Platz", sagen Frederic Linker und Sascha Schmidt. "Kritikfähigkeit", kommt von Thomas Hörath und Timo Hofmann, "denn die besten Ansätze zur Weiterentwicklung gibt es team-intern."
Was hingegen keine Voraussetzung für Erfolg zu sein scheint: Zusammen ganz unten anzufangen. Zwar pfeifen immerhin 54,8 Prozent der aktuell 42 Schiedsrichter-Teams seit Beginn ihrer Laufbahn gemeinsam - darunter auch das dienstälteste Gespann Thöne/Zupanovic -, doch auch mit einem oder mehreren Partnerwechseln ist es möglich, ganz oben anzukommen. Bei 23,8 Prozent hatten beide Schiedsrichter jeweils einen Partnerwechsel, bei 16,7 Prozent hatte mindestens einer zwei oder mehr Partnerwechsel.*
Einer, der inzwischen mit seinem dritten Gespannpartner pfeift, ist Philipp Dinges. Seit 2023 bildet er mit Fabian Baumgart ein Duo, dessen langjähriger Partner Sascha Wild aufgrund von beruflichen und persönlichen Gründen vor knapp einem Jahr seine Karriere beendet. Da auch Dinges’ Partner Tobias Schmack den beruflichen Anforderungen Tribut zollen musste, vermittelte der Schiedsrichter-Ausschuss die beiden "partnerlosen" Referees. "Wir haben nicht lange überlegt", erklärte Baumgart damals, Dinges ergänzte: „Wir waren sehr froh, dass wir die Möglichkeit bekommen haben."
Baumgart/Dinges sind eins von neun Gespannen, die vom Schiedsrichterwart bzw. Schiedsrichterausschuss zusammengebracht wurden (21,4%). Wie sind die anderen Teams entstanden? Die Gespannpartner waren zuvor bereits Freunde bzw. Mannschafts- oder Vereinskollegen (38,1%), sie sind Geschwister (23,8%) oder man hat sich auf bzw. über dem Schiedsrichter-Lehrgang kennengelernt (11,9%).*
Dazu gehören auch Fabian Foerster und Felix Mayer, die seit gerade einmal einen Monat zusammen unterwegs sind. Beide stiegen zuvor mit einem anderen Partner in den Nachwuchskader auf; als diese ihre Laufbahn beendeten, taten sich Foerster und Mayer zusammen. "Wenn man sich neu zusammentut", empfehlen sie, "ist es wichtig, über Ziele und Ambitionen zu reden und gemeinsame Leitsätze zu bilden." Es könne ebenfalls nicht schaden, "Testspiele mit potenziellen Partnern zu leiten".
Auch Julian Fedtke und Niels Wienrich - 2014 vom Schiedsrichterwart des Landesverbandes zusammengebracht und nach anfänglichen Zweifeln gemeinsam erfolgreich - betonen die Bedeutung, über den Stellenwert des Pfeifens zu sprechen. "Man sollte von Anfang an ehrlich zu einander sein und die gleichen Prioritäten setzen", raten sie. "Es bringt nichts, wenn ein Partner seinen Job und sein Privatleben auf den Handball ausrichtet, der andere aber andere Pläne hat. Man sollte frühzeitig und offen drüber sprechen."
Dass es am Anfang nicht rund läuft, sei normal, berichten auch Thomas Kern und Thorsten Kuschel aus ihrer Erfahrung. "Verliert den Mut nicht - auch, wenn es vielleicht holprig startet und ihr euch erst noch finden müsst", erläutern sie und ergänzen: "Sicher in den Basics sein, das gibt das nötige Selbstvertrauen für den Start." "Gebt euch Zeit, um euch zu finden", kommt es auch von Maike Merz und Tanja Kuttler. Und Thöne/Zupanovic formulieren kurz und knackig: "Durchbeißen und ggf. Unterstützung holen."
Denn davor müsse man nicht zurückscheuen. "Aktiv auf erfahrene Schiedsrichter zugehen und um Ratschläge und Tipps bitten", empfehlen Sophia Janz und Rosana Sug, im Sommer in den Elite-Anschlusskader aufgestiegen. "Verschiedene Spiele gemeinsam besuchen und zusammen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede sprechen", haben auch Daniel und Sebastian Halbach einen konkreten Tipp parat. "Genießt das gemeinsame Pfeifen, ohne gegenseitig zu hohe Ansprüche aneinander zu stellen", raten Bona/Frank. Und, der mehrfach gegebene ultimative Tipp: "Pfeifen, Pfeifen, Pfeifen."
Doch was, wenn es nicht läuft - soll man sich wirklich durchbeißen, wie es Thöne/Zupanovic sagten? Mehrere Teams geben ähnliche Ratschläge. "Nicht beim kleinsten Gegenwind aufgeben", kommt es von Marvin Cesnik und Jonas Konrad. "Nicht vom Weg abbringen lassen, wenn man überzeugt ist", sagen Baumgart/Dinges. Und Matthias und Sebastian Klinke: "Seid niemals Konzeptschiedsrichter, die beim ersten Gegenwind umfallen und sich trennen bzw. einen neuen und passenderen Partner suchen. Erst die Niederlagen schmirgeln das überschüssige Material ab, um bei den großen Aufgaben zu glänzen."
Mit großen Aufgaben kennt sich vor allem das deutsche Top-Gespann aus: Robert Schulze und Tobias Tönnies pfeifen seit 1999 zusammen, hinter Thöne/Zupanovic sind die Olympia-Schiedsrichter inzwischen am längsten zusammen unterwegs. "Ein Schiedsrichtergespann wächst zusammen", sagen sie. "Gemeinsame Erfolge und Misserfolge werden euch stärker machen. Seid immer ehrlich zueinander und entwickelt Spaß an der „Pfeife". Werdet Partner des Spiels und freut euch, gemeinsam Spiele zu leiten und seid - egal, in welcher Altersklasse - bereit für jede Herausforderung! Jedes Spiel verdient gute Schiedsrichterleistungen! Nur gemeinsam können wir unsere Sportart noch attraktiver gestalten und weiterentwickeln!“
Schiedsrichter-Gespann | ein Team seit: |
---|---|
Thöne/Zupanovic | 1996 |
Schulze /Tönnies | 1999 |
Kern/Kuschel | 2001 |
vom Dorff/vom Dorff | 2001 |
Brodbeck/Reich | 2001 |
Blümel/Loppaschewski | 2002 |
Lier/Lier | 2002 |
Linker/Schmidt | 2002 |
Thiyagarajah/Thiyagarajah | 2004 |
Klinke/Klinke | 2004 |
Hörath/Hofmann | 2007 |
Hurst/Krag | 2007 |
Jaros/Thrun | 2008 |
Kuttler/Merz | 2008 |
Heine/Standke | 2009 |
Hillebrand/Umbescheidt | 2009 |
Janz/Sug | 2009 |
Cesnik/Konrad | 2011 |
Friedel/Herrmann | 2011 |
Gimmler/Rips | 2012 |
Heinz/Lenhardt | 2012 |
Kijowsky/Strüder | 2012 |
Seidler/Seidler | 2013 |
Müller/Müller | 2013 |
Schwarzmeyer/Steven | 2013 |
Hellbusch/Jansen | 2013 |
Halbach/Halbach | 2013 |
Engeln/Schmitz | 2014 |
Fedtke/Wienrich | 2014 |
Bona/Frank | 2015 |
Kauth/Kolb | 2015 |
Köppl/Regner | 2015 |
Büschgens/Büschgens | 2016 |
Blunck/Maczeyzik | 2016 |
Bärmann/Bärmann | 2017 |
Hartmann/Hennekes | 2017 |
Otto/Piper | 2017 |
Völkening/Zollitsch | 2017 |
Köppen/Preibsch | 2018 |
Odabas/van Os | 2018 |
Baumgart/Dinges | 2023 |
Foerster/Mayer | 2024 |
*An der Umfrage haben sich alle Schiedsrichterteams aus dem Elitekader, dem Eliteanschlusskader, dem Bundesligakader und dem Nachwuchskader. Differenz zu 100 Prozent: Sonstige Antworten.
jun