20.08.2024, 17:36
Halbfinal-Nominierung als Krönung
Tanja Kuttler und Maike Merz erhielten bei ihren ersten Olympischen Spielen direkt ein Halbfinale - und konnten es selbst kaum glauben.
Einen ganz besonderen Augenblick erlebten Tanja Kuttler und Maike Merz nach ihrem letzten Einsatz: Der Weg in die Kabine führte über dieselbe breite Treppe, über welche die Mannschaften das Spielfeld betreten - und die Fans in den angrenzten Blöcken applaudierten den beiden Schiedsrichterinnen beim Verlassen der Halle.
„Das war wunderbar; mein persönlicher Paris2024-Moment", schwärmte Kuttler rückblickend und ergänzte mit einem ungläubigen Kopfschütteln: „Wir mussten zwei, dreimal hinschauen, ob wirklich wir gemeint sind." Auch Merz war hin und weg von der Geste: „Wir konnten es gar nicht glauben und haben uns sehr gefreut. Es ist schön, wenn man so eine Wertschätzung bekommt."
Es war der perfekte Abschluss für die ersten Olympischen Spiele der beiden Schwestern. „Wir haben viel erwartet und uns riesig drauf gefreut, aber all unsere Erwartungen wurden übertroffen", sagte Kuttler und sprach von vielen „tollen Momente und schönen Erlebnisse" in Paris und Lille: „Wir sind drei Wochen wie durch einen Traum gelaufen."
Die Atmosphäre in Frankreich riss die beiden Schiedsrichterinnen mit. „Es war eine unglaubliche Stimmung", unterstrich Merz. „Es hat uns begeistert, wie jede Sportart begleitet wurde und wie die Fans immer da waren. Es war einfach alles so positiv, das war wirklich der Wahnsinn."
An ihren spielfreien Tagen schauten Kuttler/Merz beim Synchronspringen, Tischtennis, Beachvolleyball, Turnen und im Leichtathletik-Stadion vorbei, beim Tennis sahen sie das Duell von Rafael Nadal gegen den späteren Olympiasieger Novak Djokovic. „Den olympischen Spirit, der in der Luft lag, war etwas ganz besonderes", sagte Kuttler. „Die Fankultur in Frankreich ist wirklich schön."
Die Olympischen Spiele waren jedoch nicht nur vom Erlebnis, sondern auch sportlich ein großer Erfolg. Bei ihrer Premiere unter den fünf Ringen erhielten Kuttler/Merz nach vier Spielen in der Gruppenphase der Frauen in Paris noch das Viertelfinale zwischen Norwegen und Brasilien sowie das eingangs erwähnte Halbfinale von Gastgeber Frankreich gegen Schweden.
„Wir wollten ein gutes Turnier abliefern, aber hatten keinerlei Ansprüche auf irgendwelche großen Spiele, weil die Schiedsrichtergruppe so erfahren ist - und umso stolzer sind wir, wie es alles gelaufen ist", betonte Kuttler. „Wir waren einfach schon glücklich, als wir ein Viertelfinale bekommen haben", ergänzte Merz. „Als wir dann noch erfahren haben, dass wir Frankreich im Halbfinale pfeifen dürfte - das war unbeschreiblich."
Insgesamt dreimal leiteten die Schwestern Partien des Gastgebers, es seien „ganz besondere Gänsehautmomente" gewesen, betonte Merz. Gerade das Halbfinale vor 27.000 Fans im Stade Pierre Mauroy in Lille beeindruckende die Schiedsrichterinnen. „Der Moment der französischen Hymne hat einen beinahe umgeblasen", beschrieb Kuttler. „Wir hatten uns darauf vorbereitet, aber mussten uns dennoch erst einmal wieder sammeln."
Das gelang - und sie genossen die Kulisse. „Wir sind große, laute Hallen durch die Bundesliga gewohnt und reagieren positiv darauf", beschreibt Merz. „Eine leise, schläfrige Halle ist für uns viel schwieriger - je lauter, desto besser. Und das Halbfinale war extrem laut und hat richtig Spaß gemacht."
Anschließend gab es nicht nur Applaus von den Fans, sondern auch Lob von Schiedsrichterin-Chefin Jutta Ehrmann-Wolf. „Das Halbfinale der Heimmannschaft war die Krönung, nachdem sie bereits ein Viertelfinale erhalten hatten", betont die ehemalige Spitzenschiedsrichterin. „Aus meiner Sicht haben sie auch das Halbfinale sehr gut geleitet und ihre gute Turnierform bestätigt."
Nachdem sie gemeinsam mit Robert Schulze und Tobias Tönnies am letzten Spieltag das Männerfinale zwischen Deutschland und Dänemark verfolgten, ging es für Kuttler/Merz erst zur Schlussfeier und dann zurück in die Heimat. Anfang September startet nach einer kurzen Atempause der Bundesligaalltag. Die nächsten Olympischen Spiele stehen 2028 in Los Angeles (USA) an. Ist das jetzt das nächste große Ziel für ihre Karriere? „Träumen", sagen beide Schwestern unisono, „darf man ja."
Julia Nikoleit