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    Handball: Schiedsrichter & Regeln

    01.02.2024, 12:50

    Robert Schulze und Tobias Tönnies

    10 Tipps, um eure Entscheidungen als Schiedsrichter (besser) zu verkaufen

    Sie sind das Top-Gespann des Deutschen Handballbundes: Robert Schulze und Tobias Tönnies. Die beiden Magdeburger sind regelmäßig in der EHF Champions League und bei internationalen Großturnieren unterwegs und waren für die Olympischen Spiele in Tokio nominiert. Für den "Tag des Schiedsrichters 2021" bei handball-world.news gab das Duo zehn Tipps, wie man Entscheidungen als Schiedsrichter (besser) verkauft.

    Tobias Tönnies
    Tobias Tönnies pfeift gemeinsam mit Robert Schulze. Sascha Klahn

    1. Sei bereit, Fehler zu machen

    Waren das mehr als drei Schritte? Stürmerfoul oder Siebenmeter? Stand der Spieler beim Wurf auf der Linie? Gerade am Anfang der eigenen Schiedsrichter-Karriere ist es oft die schwierigste Entscheidung, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Das gibt sich, je mehr Spiele du gepfiffen hast - und wenn du einen Gedanken verinnerlichst: Du darfst Fehler machen. Perfektionismus ist als Schiedsrichter fehl am Platz.

    Ob eine Entscheidung richtig oder falsch ist, spielt nämlich erst einmal eine untergeordnete Rolle. Der entscheidende Faktor: Du musst im Kopf bereit sein, zu pfeifen. Wenn du vor jedem Pfiff überlegst, ob die Entscheidung an sich richtig wäre, gehst du auf dem Spielfeld unter. Es gilt: Lieber eine Entscheidung treffen als darüber nachdenken. Welche Entscheidungen sinnvoll sind, das lernst du im Laufe deiner Schiedsrichter-Karriere.

    Und mach dir nichts vor: Als Schiedsrichter bist du dafür da, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Das ist dein - das ist unser - Job. Es jedem recht machen zu wollen, ist eine unrealistische Zielsetzung - du wirst Gegenwind bekommen. Das muss dir klar sein.

    2. Übe die Handzeichen vor dem Spiegel

    Um eine Entscheidung überzeugend zu verkaufen, müssen die Handzeichen sitzen. Das ist ein Faktor, den du nicht unterschätzen darfst! Selbst, als wir damals in die EHF aufgestiegen sind, haben wir uns noch im Hotelzimmer vor den Spiegel gestellt und ein Handzeichen nach dem anderen ausgeführt. Das hört sich witzig an, ist aber sehr effektiv.

    Und, drei kurze Merksätze: Der Arm hat beim Freiwurf Schulterhöhe - du schießt ja keine Enten vom Himmel. Die Zwei-Minuten-Strafe wird mit dem Handrücken zum Spieler gezeigt, eine Zeitstrafe ist ja kein Peace-Zeichen. Und beim passiven Spiel hat der Arm einen rechten Winkel.

    3. Unterschätze die körperliche Fitness nicht!

    Um gute Entscheidungen zu treffen, musst du körperlich fit sein. Wenn du keuchend über das Spielfeld hechelst, bist du mental nicht bereit, zu pfeifen, denn du hast mehr mit dir selbst zu tun als mit der Entscheidung.

    4. Brust raus!

    Als Schiedsrichter ist nicht nur die Entscheidung an sich wichtig, sondern es spielt eine große Rolle, wie du diese Entscheidung triffst. Du kannst objektiv die beste Entscheidung der Welt treffen - das hilft dir nicht, wenn man spürt, dass du unsicher oder selbst nicht von deiner eigenen Entscheidung überzeugt bist. Dann wird dir selbst ein goldrichtiger Pfiff nicht abgekauft.

    Daher gilt: Wenn du eine Entscheidung getroffen hast, muss jeder in der Halle wissen, warum du diese Entscheidung so getroffen hast: Brust raus, Kopf hoch und ein klares Handzeichen. Gib das Handzeichen nicht hektisch, sondern ruhig und kontrolliert (du hast es ja vor dem Spiegel geübt).

    Gerade bei Bestrafungen ist das wichtig: Gib dem Spieler die Bestrafung und zeige danach ganz klar an, wofür du diese Strafe gerade ausgesprochen hast - und zwar nicht in erster Linie dem Spieler (der weiß meistens ohnehin, für welche Aktion das war), sondern den anderen Spielern, den Trainern und vor allem den Zuschauern. Diese gestische Erklärung wird häufig unterschätzt.

    5. Bleib stehen, wenn du eine Strafe gibst

    Es klingt banal, aber: Wenn du eine Strafe anzeigen willst, bleib stehen. Das wirkt dreimal besser, als wenn du Karte oder Zeitstrafe im Gehen oder gar im Laufen zeigst. Du vermittelst Ruhe und Souveränität statt Hektik.

    6. Wahre den Augenkontakt zu dem Spieler, den du bestrafst

    Wenn du eine Strafe zeigst, suche den Augenkontakt mit dem Spieler, den du bestrafst. Wahre dabei jedoch eine gewisse Distanz. Als einfache "Faustformel": Wenn du zu dem Spieler oder der Spieler zu dir hochgucken muss, bist du zu dicht dran.

    Es gilt übrigens generell: Wenn du mit einem Spieler in den Dialog treten willst, suche den Augenkontakt. So vermittelst du dem Spieler, dass du ihn ernst nimmst.

    7. Behalte den Überblick

    Wäre es die erste oder zweite gelbe Karte für den Spieler? Die zweite oder dritte Zeitstrafe? Und kann ich überhaupt noch eine gelbe Karte geben oder habe ich schon alle "weg"? Gerade bei intensiven Spielen ist es zu Beginn der Karriere manchmal schwierig, den Überblick zu behalten.

    Musst du allerdings jedes Mal erst deine Spielnotizkarte aus der Hemdtasche ziehen oder wirst vom Kampfgericht darauf hingewiesen, dass du eine Zeitstrafe statt der zweiten gelben Karte hättest geben müssen, schadet das deiner Außenwirkung. Notiere dir die Strafen daher zusätzlich auf dem Handrücken oder der Handinnenseite - so kannst du mit einem diskreten Blick sofort sehen, welche Strafen du schon verteilt hast.

    8. Stehe auch zu deinen Fehlentscheidungen

    Als Schiedsrichter wirst du Fehler machen - das musst du akzeptieren. Entscheidend ist, wie du damit umgehst. Viele Schiedsrichter neigen dazu, bei einer Fehlentscheidung zuzumachen. Geh stattdessen offen damit um. Heb die Hand und entschuldige dich.

    Natürlich kannst du versuchen, jede Entscheidung noch irgendwie zu "retten" (beliebt ist das Anzeigen eines Schrittfehlers), aber das ist nicht immer sinnvoll. Stehst du zu deinem Fehler, erarbeitest du dir vielmehr einen Vertrauensvorschuss, weil Spieler und Trainer sehen, dass du selbst gemerkt hat, dass etwas nicht ideal war.

    Robert ist auch schon zu einem Spieler gegangen und hat gesagt: "Ich würde mich für den Fehler jetzt auswechseln, aber das geht nicht." Das lockert die Situation auf und der Spieler spürt, dass wir ihn respektieren. Ein klares No-Go hingegen: Den ersten Fehler mit einer bewussten Fehlentscheidung auf der anderen Seite zu kompensieren!

    9. Wenn du mit einem Partner pfeifst: Steht füreinander ein!

    Es ist die Basis und steht nicht zur Diskussion: Wenn ihr zu zweit pfeift, tretet ihr als Team auf und steht füreinander ein. Du kannst die Entscheidung deines Partners noch so falsch finden - verzieh keine Miene und trage sie mit. Ihr müsst nach außen durch dick und dünn gehen. Nach innen darf es knallen - das passiert auch bei uns in aller Regelmäßigkeit.

    10. Hole dir Feedback

    Weißt du, wie deine Entscheidungen auf dem Spielfeld wirken? Für uns gehört die Videoanalyse zum Alltag, aber gerade an der Basis haben sich viele Schiedsrichter noch nie selbst auf dem Spielfeld gesehen. Schau dir dein eigenes Auftreten aber unbedingt an, wenn du dich weiterentwickeln willst - und hol dir zusätzliches Feedback ein.

    Schau dir das Video gemeinsam mit einem Außenstehenden an - ob einem Kumpel, einen Trainer aus deinem Verein oder einem erfahrenen Schiedsrichterkollegen aus deinem Bezirk - und bitte um ein Feedback. Wie wirkst du aus Sicht der anderen Person? Wirkst du arrogant, souverän, unsicher? Wie kommen deine Handzeichen an? Diese Rückmeldung ist unheimlich wertvoll.

    Robert Schulze und Tobias Tönnies