01.02.2024, 12:40
Matthias Klinke
Erfahrung ist ein Schlüsselwort für einen guten Schiedsrichter. Mit jedem Spiel lernt man als Unparteiischer dazu; auch und gerade die deutschen Spitzenschiedsrichter arbeiten hart an sich. Matthias Klinke pfeift gemeinsam mit Zwillingsbruder Sebastian im Bundesligakader des Deutschen Handballbundes. Das Duo weiß aus eigener Erfahrung: "Besser zu werden, ist brutal harte Arbeit." Jeder Schiedsrichter macht - gerade in den ersten Jahren seiner Karriere - Fehler und lernt gewisse Dinge oft schmerzhaft. Matthias Klinke hat für den "Tag des Schiedsrichters 2020" die Erkenntnisse zusammengefasst, die sein Bruder und er im Laufe der Jahre gesammelt haben - und die sie gerne schon am Anfang ihrer Karriere gehabt hätten. Herausgekommen sind 10 Tipps für alle Schiedsrichter an der Basis - und jeden, der es werden will.
Als Schiedsrichter will man natürlich respektiert und ernst genommen werden, doch das ist keine Selbstverständlichkeit. Wir hatten diesbezüglich ein Schlüsselerlebnis: Als junge Schiedsrichter haben wir mal einen Kollegen gesehen, der auf Kreisebene volltrunken ein Spiel gepfiffen hat. Uns war sofort klar: So wollen wir nie wahrgenommen werden.
Sobald ihr für ein Spiel angesetzt seid und die Sportanlage betretet, muss euch klar sein: Als Schiedsrichter ist man immer ein Vorbild - und sollte daher entsprechend auftreten. Wir können euch daher nur nahelegen: Nehmt die Mannschaften auch in der untersten Liga ernst und verhaltet euch angemessen!
Was bedeutet das konkret? Seid rechtzeitig da und schlendert nicht fünf Minuten vor Anpfiff durch die Tür. Schlurft nicht in Badelatschen in die Halle. Tragt am besten ein neutrales Outfit und nicht den Trainingsanzug eurer Mannschaft. Nehmt Ketten, Armbänder und sonstigen Schmuck ab - denn das verlangt ihr ja auch von den Mannschaften. Die einzige Ausnahme kann aus meiner Sicht der Ehering sein - aber ich würde selbst den abnehmen oder zumindest abtapen.
Und ansonsten? Tragt ein ordentliches Schiedsrichtertrikot - und steckt es am besten in die Hose, das wirkt sofort ganz anders. Legt euer Handy nicht ans Kampfgereicht (es sei denn, ihr habt Bereitschaftsdienst). Lenkt keine Aufmerksamkeit durch übertriebenes Styling auf euch. Und geht nie, wirklich nie, in der Halbzeit eine Zigarette rauchen. Die Mannschaften werden euch gleich ganz anders wahrnehmen.
Für uns sind Rituale ganz, ganz wichtig. Es nimmt sehr viel Stress am Spieltag, wenn du auf deinen gewohnten Ablauf vertrauen kannst - gerade, wenn du neu dabei bist. Das gibt Sicherheit. Wir stellen beispielsweise in der Kabine als erstes unsere "Schiedsrichter-Ente" auf, die wir mal von unserem Patengespann geschenkt bekommen haben und die uns seitdem begleitet. Danach kümmere ich mich um unsere Headsets, unsere Trikots und unsere Schuhe, Sebastian um die Abrechnung.
Diese Aufteilung hatten wir schon in der Kreisklasse - damals natürlich noch ohne die Headsets. Seitdem hält jeder von uns an dieser Routine fest. Es hilft uns, nicht hibbelig zu werden oder in Stress zu verfallen, sondern ruhig zu bleiben. Und ansonsten? Sebastian pfeift immer an - und dann sind wir im Spiel.
Als Schiedsrichter solltet ihr keine Regelpolizisten sein, sondern das Spiel moderieren. Das geht einfacher, wenn ihr schon vor dem Spiel für eine gute Atmosphäre sorgt. Stellt euch dem Kampfgericht vor - es ist im Spiel euer Partner - und klatscht mit den Wischern ab. Das ist eine Frage der Wertschätzung. Mit einzelnen Spielern abzuklatschen, solltet ihr hingegen unterlassen - es sei denn, ein Spieler kommt aktiv auf euch zu.
Außerdem gehört es sich natürlich, vor dem Spiel die Trainer zu begrüßen. Ein bisschen Smalltalk gehört dabei auch dazu; beliebt ist die Frage nach der Anfahrt. Zu sportlichen Themen rund um die Liga oder das anstehende Spiel solltet ihr euch allerdings bedeckt halten. Pfeift ihr im Gespann, teilt euch ruhig auf und sprecht parallel mit jeweils einem Coach. Warum? So ist für alle in der Halle - Spieler und Zuschauer - offensichtlich, dass ihr beide Mannschaften gleich behandelt. Wenn ihr erst zehn Minuten zu zweit mit einem Trainer schnackt und dann dem anderen nur kurz die Hand gebt und sofort wieder geht, hat es einen Beigeschmack.
Ansonsten gilt generell - auch im Spiel: Bemüht euch um ein freundliches Auftreten. Das heißt natürlich nicht, dass ihr nicht progressiv und konsequent durchgreifen sollt, aber manchmal wirkt ein Lächeln an der richtigen Stelle Wunder und entschärft die Situation. Schiedsrichter, die zu einem Spieler sagen: "Wenn du mit mir redest, kriegst du zwei Minuten", habe ich noch nie verstanden. Kommunikation ist unglaublich wichtig. Man kann allerdings auch zu viel kommunizieren - achtet auf die Verhältnismäßigkeit.
Es klingt so banal und ist doch so schwierig: Traut euch, einen Fehler zuzugeben. Jeder Schiedsrichter macht seine ganze Karriere lang Fehler. Wir haben über die Jahre jedoch gelernt, damit besser umzugehen - und lassen uns davon nicht mehr aus der Bahn werfen.
Fehler zuzugeben, ist eine Größe, die Spieler und Trainer oft nicht haben. Steht über den Dingen und gesteht es auch mal ein, wenn ihr falsch lagt - das macht euch nicht nur authentisch, sondern langfristig auch besser.
Auch hier gilt: Es klingt so banal und ist doch - gerade am Anfang - unglaublich schwer. Ihr dürft als Schiedsrichter keine Angst haben, eine Entscheidung zu treffen. Das Gute: Mit jedem Spiel, dass ihr pfeift, wird es euch leichter fallen. Als wir damals im norddeutschen Jugendkader waren, saßen wir mal in Flensburg in der Halle und hatten blanke Angst davor, aus der Kabine zu gehen und dieses Spiel zu pfeifen - nicht, dass wir das zugegeben hätten...
Solche Erfahrungen machen wahrscheinlich die meisten Schiedsrichter - außer diejenigen, die die Macht genießen und sich darauf freuen, endlich mal einen Spieler mit einer roten Karte raushauen zu können. Das sind jedoch meist keine guten Schiedsrichter.
Viele junge Schiedsrichter haben hingegen zunächst viel zu viel Respekt, um an eine rote oder sogar eine blaue Karte auch nur zu denken - oder zögern, eine Zeitstrafe zu geben. Das ist auch überhaupt nicht schlimm - irgendwann legt man diese Angst ab und trifft die Entscheidungen wie von selbst. Traut euch! Und wenn ihr mal falsch liegt: Auch das ist nicht schlimm. Ihr werdet lernen, damit umzugehen.
Als wir gerade 18 Jahre alt waren und ganz am Anfang unserer Karriere standen, sollten wir ein Spiel in der Kreisklasse leiten. Ich war verletzt, daher musste Sebastian das Spiel alleine pfeifen. Ich bin mit unserem Vater trotzdem hingefahren, wir sind allerdings etwas zu spät gekommen - und als wir die Halle betreten haben, gab es schon ein gellendes Pfeifkonzert der Zuschauer. Das war für Sebastian eine extrem harte Erfahrung; er war kurz davor, alles hinzuschmeißen.
Gerade am Anfang - das haben wir nicht nur selbst erlebt, sondern über die Jahre auch bei zahlreichen Nachwuchsschiedsrichtern gesehen - nimmt man Kritik und Pfiffe noch sehr persönlich. Ihr werdet als Schiedsrichter angeschrien und beleidigt; häufig sind die Zuschauer dabei noch viel vulgärer als die Mannschaften und Trainer. Es geht dabei jedoch nicht um euch, sondern um die Person des Schiedsrichters.
Die Schiedsrichter-Rolle muss eine Hülle werden, die ihr abstreifen könnt. Wenn jetzt ein Spieler auf mich zustürmt oder ein Zuschauer mich beleidigt, sage ich mir: Die meinen damit nicht Matthias, den zweifachen Familienvater, der Wackelpudding liebt, sondern die meinen die Figur des Schiedsrichters. Sich das klarzumachen, ist wichtig - und wird euch helfen, mit Beleidigungen und Pfiffen umzugehen.
Das Kaltgetränk nach dem Spiel gehört auf Kreisebene dazu - und oft wird auch dem Schiedsrichter etwas angeboten, denn irgendwann kennt man sich ja. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, das Angebot anzunehmen, aber ihr solltet darauf achten, euch nicht angreifbar zu machen.
Sprich: Das Getränk draußen vor der Halle zu nehmen, im lockeren Kreis, wo sich jederzeit jeder von Heim- oder Gastmannschaft dazustellen kann, ist relativ problemlos. Das Bier allerdings in der Kabine mit einer Mannschaft zu trinken, ist ein No-Go - selbst, wenn in diesem Team euer bester Kumpel spielt.
Das Amt des Schiedsrichters verbietet das und wir raten euch dringend, euch schon aus Selbstschutz daran zu halten. Wenn der Heimverein knapp gewonnen hat und ihr danach mit der Mannschaft in der Kabine anstoßt, macht ihr euch für die Zukunft einfach angreifbar. Es ist eine Frage der Außenwirkung. Auch ein gemeinsames Duschen mit Spielern, weil es nur zwei Kabinen gibt, solltet ihr unterlassen - nicht aus Schamhaftigkeit, sondern um die Distanz zu wahren. Seid einfach vorsichtig!
Sucht euch einen Menschen, der euch beisteht - das kann ein Kumpel sein, ein Nachbar oder auch ein Verwandter. Wir haben beispielsweise einen guten Freund, der irre gerne Handball guckt - und sich daher seit Jahren fast jedes Spiel von uns anschaut. Und er sagt uns dann offen seine Meinung, ganz objektiv und ohne auf uns Rücksicht zu nehmen. Das wollten wir gerade, als wir jünger waren, nicht immer hören - aber meistens haben wir zumindest insgeheim darüber nachgedacht. Und auch, wenn er nicht immer richtig liegt: Es hat uns immer geholfen, uns mit seiner Meinung zu beschäftigen.
Das Wichtigste dabei ist: Ihr braucht keinen Ja-Sager, sondern jemanden, der euch immer offen und ehrlich seine Meinung sagt. Das kann auch durchaus mal wehtun. "Willst du im nächsten Spiel dein Schiedsrichter-Trikot nicht lieber in einer Nummer größer tragen?", war eine Frage, die ich nur einmal hören musste, um mehr für meine Fitness zu machen - aber das muss dir eben erstmal jemand so objektiv und brutal sagen. Und gerade an der Basis geht es auch darum, dass ihr jemanden habt, der euch Mut zuspricht, euch aufbaut und unterstützt.
Wir haben über die Jahre gelernt, welche Dinge man als Schiedsrichter abseits seiner Ausstattung immer in der Tasche haben sollte. Ganz oben: Eine kleine Hausapotheke, Kleingeld - und Toilettenpapier. Das klingt vielleicht komisch, aber jeder, der in seinem Leben regelmäßig in Sporthallen auf Kreisebene unterwegs ist, wird diesen Rat wohl ohne weitere Erklärung nachvollziehen können?
Warum die Hausapotheke? Selbst, wenn es in der Nähe der Halle eine Apotheke gibt - dass diese am Wochenende auch geöffnet hat, ist unwahrscheinlich. Wenn ihr mit Kopfschmerzen einmal quer durch den Spielort gefahren seid, habt ihr das nächste Mal definitiv ein Aspirin in der Tasche. Das kann einem viel Stress in einer Situation ersparen, in der man sich ohnehin nicht gut fühlt. Natürlich lässt sich die Hausapotheke nach Belieben um Pflaster, Wärmesalbe oder sonstige Dinge ergänzen.
Und das Kleingeld? Es lässt sich sicherlich viel mit EC-Karte bezahlen. Wir haben unsere Portmonees allerdings bei einer Ansetzung in Nordrhein-Westfalen mal im Handschuhfach des Autos liegen gelassen - was uns erst auffiel, als der Zug am Zielbahnhof einfuhr. Der Weg zur Halle war dadurch anstrengender als das Spiel selbst. Seitdem haben wir - egal, wo wir pfeifen - immer Bargeld in der Sporttasche, um notfalls ein Taxi oder das Ticket für den Nahverkehr bezahlen zu können. Auch für den Kaffee in der Halle oder das Brötchen beim Bäcker neben der Halle kann es immer nützlich sein, Bargeld dabei zu haben.
Als Schiedsrichter stehst du - gerade an der Basis - oft alleine da. Während wir in der Bundesliga in jedem Spiel auf unseren Gespannpartner vertrauen können und so immer mindestens eine Person an unserer Seite wissen, müssen viele Schiedsrichter im Jugend- und Amateurbereich die Spiele alleine leiten. Umso wichtiger ist es, dass wir Schiedsrichter zusammenhalten - egal, in welcher Liga wir unterwegs sind.
Kurz gesagt: Man lästert in der Halle nicht über Schiedsrichterkollegen! Das gehört sich einfach nicht - denn ihr wollt ja auch nicht, dass die Kollegen bei eurem nächsten Spiel von der Seitenlinie über euch herziehen. Wenn ihr Kritik oder Hinweise habt, dann sprecht den Kollegen direkt an - aber sich gemeinsam mit Mannschaften, Trainern oder Zuschauern über den Schiedsrichter auf der Platte lustig zu machen, ist schlicht und ergreifend unkameradschaftlich.
Um jedoch mit einer positiven Erkenntnis zu schließen: Natürlich kann die Schiedsrichterei ein extrem einsamer "Job" sein, aber dennoch bringt der Handball einem auch als Schiedsrichter unheimlich schöne Erlebnisse - und Begegnungen. Wir haben über die Jahre viele, viele tolle Menschen kennenlernen dürfen; aus Sportkameraden sind so Freunde geworden. Genießt diese Freundschaften, genießt den Zusammenhalt und genießt den Spaß am Pfeifen, den wir alle haben - denn sonst würden wir es wohl nicht machen.
Bis heute sagt Sebastian vor jedem Spiel zu mir: "Matthias, wir dürfen dieses Spiel pfeifen." Das hat sich über die Jahre eingebürgert - und das würden wir selbst in der Kreisklasse machen, wenn wir dort noch einmal irgendwann pfeifen sollten. Das ist für uns eine Frage der Einstellung: Wir müssen nicht oben auf der Tribüne sitzen und zugucken - wir dürfen aktiv auf dem Feld dabei sein und haben dabei Spaß! Für uns gibt es nicht Schöneres.
Matthias Klinke